Neue Leihräder in Wien: Vergleichstest und Hintergründe

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Das Stadtbild hat neue Farbtupfer bekommen, die vor allem an Fahrradständern auftauchen. Darin könnte auch ihr Problem liegen: Zwei chinesische Leihrad-Anbieter haben ihre Produkte im August in ersten Testphasen nach Wien gebracht und wollen diese Fahrräder auf einige tausend Stück aufstocken. Das hätte spürbar negative Folgen für die Stellplatzsituation. Die Radlobby Wien hat die Räder getestet und beleuchtet die Problematiken und Hintergründe des neuen Public Bike Booms.

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Das Obike in voller Kunststoffpracht beim Test von Fahrrad Wien.

Materialtest: Obike vs. Ofo Bike

Die Anbieter heißen zum Verwechseln ähnlich (wir haben im Vorfeld berichtet: ARTIKEL), ihre Fahrzeuge weisen aber wichtige Unterschiede auf. Im Gesamteindruck kommt das Ofo - erkennbar an gänzlich kanariengelber Lackierung - dem üblichen Erscheinunsgbild und Material eines Fahrrads deutlich näher als das Obike. Letzteres, in silbergrau mit orangen und schwarzen Elementen gehalten, weist eine große Anzahl an Plastikteilen auf - nämlich u.a. die viel zu kleinen, instabilen Kotflügerl und den Kettenschutz - und hat weitere technische Nachteile. Der Vergleich:

  • Antrieb: beide Marken sind ohne Gangschaltung unterwegs, aber das Ofo kommt bald in einer Drei-Gang-Variante in Wien an.
  • Bremsen: das Obike ist mit Bandbremsen ausgestattet, der Billigvariante von Trommelbremsen. Folge: Schlechte Bremswirkung. Das Ofo hat V-Brakes, ein klarer Vorteil. Die nächste Ofo-Lieferung soll Rollbremsen haben.
  • Bereifung: beide sind mit Vollgummireifen ausgestattet, was aus Pannengründen sicher Sinn macht, aber die Dämpfungseigenschaften wie beim Wiener Citybike sehr gering ausfallen lässt.
  • Korb: beide Räder haben kleine Vorderkörbe, die für den kurzen Transportweg knapp ausreichen. Nichts für Einkäufe!
  • Beleuchtung: dort wie da Nabendynamo mit Vorder- und Rücklicht sowie (beinahe) StVO-gemäße Reflektoren
  • Glocke: beide haben eine Drehgriffglocke, die zuerst an eine Gangschaltung denken lässt - der Irrtum ist schnell geräuschvoll geklärt!
  • Kotflügel sind der augenscheinlichste Unterschied: Kunststoffheckspoiler beim Obike, gängige taugliche Metallschützer beim Ofo.
  • Rahmenhöhe: beide Räder sind für europäische Anforderungen zu klein geraten und haben zu kurze Sattelstützen, für Körpergrößen ab 175cm nicht gut geeignet
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Die Bandbremse des Obike ist so wirkungsvoll wie sie aussieht. Vorausschauend fahren!

Die Software: App und Standortsuche

Der Entlehnvorgang beider Modelle funktioniert mit einer Smartphone-App (ios und Android) und setzt Kreditkartenbesitz zur Identifizierung und Abbuchung voraus, was einige NutzerInnen von vornherein ausschließt. Beide Systeme sind "free floating", können also ohne fixe Stationen betrieben werden und überall geparkt werden. Download und Funktionsweise der beiden Apps gehen zeitgemäß flüssig voran:

  • Radsuche: Nach der Ortung der nächstgelegenen Radstandorte kann das Obike für 10 Minuten reserviert werden - ein großer Vorteil gegenüber dem Ofo, das nicht über diese Funktion verfügt. Bei beiden ist die Standortangabe nicht ganz präzise, was an der GPS-Technologie liegen kann - einige Häuser weiter ist das angezeigte Rad immer aufzufinden gewesen, nur ein Obike war im Test wie vom Erdboden (oder im nächsten Wohnblockkeller) verschluckt.
  • Entsperren via QR-Code-Scan und Versperren mittels Rahmenschloss und Bluetooth-Signal haben meist problemlos funktioniert. Jedoch haben sich sowohl ein Obike als auch ein Ofo geweigert, sich in der App als abgestellt zu melden - trotz des physisch verperrten Rahmenschlosses. Dann kann man bei Obike auf ein vorbildliches Fehlermelde-Interface mit Fotofunktion zurückgreifen, bei Ofo war nichts dergleichen zu finden. Resultat: die Obike-App hat zwei Stunden später kostenlos korrigiert, das Ofo fuhr laut App immer noch! Dabei soll die Hotline unter +43 800 070487, täglich 09:00 bis 18:00 Uhr, oder die Emailadresse helfen.
  • Kosten: gravierender Nachteil des Obike ist ein Pflichtpfand von 79€ (Marktwert des Rades?), die Fahrt kostet je halber Stunde 1€, die in 10€-Guthabenpaketen abgebucht werden. Das Ofo ist in der einmonatigen Testphase komplett kostenlos und wird danach 50 Cent pro 30 Minuten kosten. Beide Systeme versuchen über Bonus/Malus-Punkte das Nutzerverhalten und Radabstellen zu steuern, diese Punkte können die Kosten pro Fahrt beeinflussen. So kann bei Minimalpunktestand eine halbe Stunde Obikeing 10€ kosten (ja, zehn!)
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Die Ofo-App und der QR-Code zum Entsperren via Bluetooth.

Das Stellplatzproblem

Die größte Kritik laden die stationslosen "free floater" beim Thema Abstellen auf sich, Erfahrungen u.a. in Zürich haben Unmut in der Bevölkerung über Abstellchaos gezeitigt. Die Räder können technisch gesehen überall abgestellt werden, am wenigsten Sinn macht dies jedoch bei Radbügeln, da sie keine Schlösser zum Anschließen an Bügeln besitzen. Wie versuchen also die Anbieter das Abstellen zu regulieren?

  • Ofo schreibt "Benötigt man das Rad nicht mehr, kann es bequem – ohne verpflichtendes Parken in einer Station – abgestellt werden. Das Abstellen der Räder ist überall dort zulässig, wo es gesetzlich erlaubt ist. Nutzer, die ihr Fahrrad in von ofo empfohlenen Parkzonen oder Einsatzbereichen abstellen, erhalten Bonuspunkte. Radfahrern, die ihr Rad unsachgemäß parken, werden Punkte abgezogen.", Obike definiert das "erlaubt sein" ebenso wenig.
  • Abstellzonen: Geo-Fencing lautet der Fachbegriff für virtuelle Parkzonen, die den NutzerInnen via App bei Ofo in Zukunft angezeigt werden. Dort sollte das Rad abgestellt werden, um Bonuspunkte zu sammeln - in der Testphase ist der 2. Bezirk eine große Geo-Fencing-Zone, Konsequenzen für anderweitiges Parken sind nicht bekannt.
  • Rechtlich gesehen darf ein Leihrad dort stehen wo jedes Rad darf: auf Parkspuren wie ein Kfz, auf Gehsteigen falls diese über 2,5m breit sind, oder eben an Radständern oder auf sonstigen Freiflächen wo sie niemanden behindern. Diese Informationen sind aber nicht an den Rädern angebracht, ebensowenig die Information für AutofahrerInnen, dass sie Räder von Parkspuren nicht auf zu schmale Gehsteige stellen dürfen.
  • Logistikteams sollen zumindest bei Ofo für bessere Verteilung und gegen Falschparker helfen.

Die Radlobby ist mit den Betreibern dahingehend in Kontakt und fordert sie zu besserer Information auf. Die MA48 nimmt Fahrzeuge mit, wenn sie gefährlich abgestellt sind. Die Polizei wiederum hat die Möglichkeit, bei rechtswidrig abgestellten Fahrrädern einzugreifen. Fällt Ihnen ein mit Leihrädern verparkter Fahrradständer auf, ist es hilfreich, wenn Sie diesen im RadKummerKasten der Radlobby Wien melden.

In Kombination mit dem ebenfalls heuer aufgetauchten Touristik-Verleihsystem "Donkey Republic" sind schon zahlreiche Radbügel v.a. in Zentrumsnähe heillos überparkt, Obikes finden sich vermehrt auf Gehsteigen. Radbeauftragter Martin Blum dazu: "Der Stadt ist es ein Anliegen, dass die Fahrräder in der Parkspur positioniert werden, was die logische Folgerung aus der Strategie der Stadt nach mehr umweltverträglichem Verkehr ist."

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Volle Radständer auf dem Foto der Mobilitätsagentur Wien

"Kommerzielle Radverleihanbieter sollten jedenfalls die Kosten für ausreichend zusätzliche Radbügel übernehmen, ob freiwillig oder auf Lizenzbasis mit der Stadt Wien. Wir haben ohnehin zu wenige Radstellplätze in Wien, die Situation wird sich sonst verschlimmern", fordert Radlobby-Sprecher Alec Hager die Betreiber und die Verwaltung zu gemeinsamen Verbesserungen auf.

Verkehrsexperte Harald Frey von der Technischen Universität unterstützt im ORF-Interview diese Sichtweise „Wir dürfen nicht vergessen, hier nutzt ein Privater Infrastruktur, die durch Vorleistungen der öffentlichen Hand, also Steuergelder, von uns allen errichtet wurde. Da wäre es natürlich sinnvoll, zu hinterfragen, ob nicht ein Rückfluss auch monetär für die Stadt passieren könnte.

Die Daten-Frage

Für mediale Aufregung wie hier beim ORF und breite Verunsicherung sorgt das Thema der Daten-Nutzung. Die Apps sammeln Fahrtendaten (Route, Dauer) gemäß Datenschutzgesetz, aber werden diese auch anderweitig verwendet? Viele Medien sehen in den Daten den wahren Wert der Leihradsysteme, laut Forbes Magazine stecke als Investor zum Beispiel der Internethandelsriese Alibaba hinter Ofo, und der wiederum nutze die "valuable data on users’ commuting habits and rental history". Dem widerspricht der zuständige Ofo-Manager in Wien, Global Launcher Mr. Dong, auf Radlobby-Anfrage vehement: "No commercial use of data", es gehe nur um Optimierung der Verleihlogistik. Das Finanzmodell sei selbsttragend, Ofo könne sich durch Verleiherlöse erhalten. Der generelle weltweite Marktwert des Leihradbetriebs würde zur Zeit eine Milliarde und 2019 drei Milliarden Euro betragen, so das Forbes Magazine.

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Ofo Global Launcher für Österreich, Tschechien und Schweiz, Mr. Dong

Rechtliche Grundlagen

Zur Regulierung des Leihradmarktes und der Abstellproblematik fehlen in Österreich wichtige Rechtsgrundlagen. So ist zum Beispiel eine Parkraumbewirtschaftung wie bei Carsharing-Anbietern und damit ein vertraglicher Kostenbeitrag nicht möglich. Sowohl die Radlobby als auch die European Cyclists Federation in ihrem aktuellen Positionspapier haben auf die Notwendigkeit von Regulierungen und qualitätssichernden Vereinbarungen hingewiesen. In Wien könnte dazu laut rechtlichen Erkundigungen der Radlobby das Wiener Gebrauchsabgabengesetz herangezogen werden, das den Abschluss einer Gebrauchserlaubnis "für den Gebrauch von öffentlichem Grund in der Gemeinde, der als Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehr dient" vorsieht. Dahingehend warten wir die weiteren Entwicklungen ab.

Radtest im Radio

In der neuen Radio-Sendung der Radlobby Wien, "Rad Rad Radioo" auf Radio Orange 94.0, können ab 8.9. die Ofo & Obike Testfahrten von Radlobby-Sprecher Alec Hager akustisch mitverfolgt werden: LINK