Seitenabstand und Radstreifen: Wie soll das gehen?
Eine wichtige Sicherheitsmaßnahme von Radfahrenden ist es, genug Seitenabstand zu geparkten Autos einzuhalten, um nicht in die Gefahrenzone des "Doorings", also abrupt geöffneter Fahrzeugtüren, zu geraten. Das Abstandsurteil des Wiener Verwaltungsgerichts 2016 besagt, dass Radfahrenden ein Seitenabstand zu parkenden Kfz von 1,2 bis 1,8 Meter zugestanden wird. Welche Auswirkungen hat dieses Urteil nun auf das Fahrverhalten im Zusammenhang mit Rad- und Mehrzweckstreifen, die sich genau in diesem Bereich befinden?
Richtig auf dem Radstreifen unterwegs: Am linken Rand fahren, um Abstand zu parkenden Kfz zu halten, der Lenker darf die Linie überragen. So entspricht es den Empfehlungen der MA46. Grafik: Drahtesel - Das österreichische Fahrradmagazin
Das Urteil
Die Abstands-Kampagne der Radlobby hatte zum Ziel, Bewusstseinsveränderungen bei LenkerInnen motorisierter Fahrzeuge und RadlerInnen zu bewirken und nahm auch den Gesetzgeber in die Pflicht nimmt. Im Herbst letzten Jahres konnte der Radlobby-Anwalt Dr. Johannes Pepelnik vor dem Verwaltungsgericht Wien (VWG) den zulässigen Anti-Dooring-Abstand zu parkenden Autos klären, das betreffende Abstandsurteil unterstreicht die Position der Radlobby: Radfahrenden wird ein Seitenabstand zu parkenden Kfz von 1,2 bis 1,8 Meter zugestanden, um nicht durch unachtsam geöffnete Autotüren gefährdet zu werden.
Die Auswirkungen
Welche Auswirkungen hat dieses Urteil konkret? Die Wiener Magistratsabteilung 46 (Verkehrsorganisation) erklärt, dass Radfahrstreifen mit einer Breite von 1,75 Meter bzw. mindestens 1,50 Meter ausgeführt werden und damit ein rechtskonformes und gleichzeitig sicheres Verhalten der Radfahrenden möglich sein sollte. Weiter heißt es: „Der Überhang des Lenkers auf die Restfahrbahn begründet kein den Radfahrenden vorwerfbares Verhalten und ist nicht strafbar.“ Laut dieser Aussage darf der Fahrradlenker also über den Radstreifen ragen, die Laufräder müssen sich jedoch innerhalb der Radstreifenmarkierung befinden.
Nötige nächste Schritte
Damit so eine Fahrweise nicht erst recht wieder zu Konflikten mit AutolenkerInnen führt, sind weitere Maßnahmen nötig:
- Einerseits muss ein ausreichend breiter Kfz-Fahrstreifen vorhanden sein, damit der allgemein anerkannten Seitenabstand von 1,5 Metern zu Radfahrenden eingehalten werden kann.
- Andererseits sollte bei Einsatz von Mehrzweckstreifen die Kfz-Fahrbahn ohne Mittellinie ausgeführt werden, damit Autofahrer beim Vorbeibewegen gegebenenfalls auf die Gegenfahrbahn ausweichen können.
- Damit AutolenkerInnen nicht zu knappen Vorbeibewegen oder Schneiden tendieren ist neben besserer Infrastruktur auch Bewusstseinsbildung und eine Anpassung der Führerscheinausbildung erforderlich.
- Generell ist der Einsatz von Radstreifen und Mehrzweckstreifen kritisch zu begutachten und nur heranzuziehen, wenn weder echte Verkehrsberuhigung noch gute baulich getrennte Radinfrastruktur möglich ist.
Reaktionen von RadfahrerInnen
Das Thema sorgt unter Radfahrenden regelmäßig für Ärger. Hier eine kleine Auswahl der Rückmeldungen aus der Rad-Community:
Herbert Hofmann, aus 1110 Wien:
„Ich fahre regelmäßig entlang der Simmeringer Hauptstraße, wo die Fahrbahnbreite außerhalb des Mehrzweckstreifens gerade mal eine Fahrspur zulässt. Ich fahre grundsätzlich fast direkt auf der Begrenzungslinie, was bedeutet, dass mein Rennlenker etwa 20 cm über die Begrenzungslinie ragt. Als Folge wird grundsätzlich kein ausreichender Seitenabstand zu Radfahrern eingehalten. Das Verständnis vom durchschnittlichen Autofahrer ist, dass Radfahrer weiter rechts fahren müssten, ein Überragen der Begrenzungslinie unzulässig sei. Das führt immer wieder zu wüsten Beschimpfungen, aber auch Aktionen, wie zu knappes Vorbeifahren und rasches Rechtseinschneiden um dem Radfahrer zu demonstrieren, dass er sich gefälligst weiter rechts zu halten hätte.“
Robert Spoula, aus 1210 Wien:
„Ich fuhr am frühen Nachmittag im Herbst 2016 auf der Jedleseer Straße mit etwa 25 km/h stadteinwärts auf dem äußeren Rand knapp innerhalb des Mehrzweckstreifens, als mich bei der Höhe Hausnummer 105 ein Auto von hinten anhupte und in Folge sehr knapp und in hohem Tempo (geschätzt 60 km/h) überholte. Da die Lenkerin kurz darauf beim Fußgängerübergang Karl-Seitz-Hof stehen bleiben musste, nutzte ich die Gelegenheit, sie auf ihre gefährdende Fahrweise anzusprechen. Sie war sehr aufgebracht und meinte ich sollte ganz rechts fahren. Mein Argument, dass ich dabei sehr leicht in sich öffnende Autotüren fahren könnte, ich mich also nicht selbst gefährden möchte, ließ sie nicht gelten.“
Gerhard Weiß:
„Der Mehrzweckstreifen der Linzerstraße zwischen Samptwandnergasse und Bujattigasse verläuft fast durchgehend neben geparkten KfZ. Der Streifen an sich bietet schon nicht genug Platz, um sicher und komfortabel an den geparkten Fahrzeugen vorbeifahren zu können.
Sobald es Autoverkehr in einer gewissen Dichte gibt, wird man regelmäßig bedrängt, genötigt oder regelrecht gefährdet. Am schlimmsten ist es, wenn es Gegenverkehr gibt, vor allem zur Verkehrsspitze, wenn man gegen die Hauptrichtung unterwegs ist. Dann haben Fahrer, die hinter mir sind, eine scheinbar leere Fahrbahn vor sich, aber mit Stau auf der Gegenfahrbahn viel zu wenig Platz um sicher zu überholen. Da wird gedrängt, gehupt und oft mit wenigen Zentimetern Abstand überholt.“
Quelle: Drahtesel 2/17
Update 08/2023: Edit von Begrifflichkeiten bezüglich besserer Unterscheidung von Überholen und Vorbeibewegen nach 33. StVO-Novelle.