Radverkehr in Zeiten von Corona

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Die Forderung nach einem Meter Sicherheitsabstand, um den Coronavirus einzudämmen, macht deutlich, dass viele Geh- und Radwege in Österreich nach wie vor zu schmal sind. Es braucht akut eine fahrradfreundliche Umgestaltung des Verkehrsraumes - Abstand macht sicher! Die Radlobby Österreich spricht sich, so wie auch der VCÖ, dafür aus, dass während der Coronakrise die Radwegbenützungspflicht aufgehoben wird sowie temporäre Radwege und geschützte Radstreifen eingerichtet werden. 

Platz schaffen

Während der Verkehr auf der ganzen Welt und damit der Stickstoffdioxidgehalt zurückgegangen ist, gibt es weit verbreitete Bedenken hinsichtlich eines Anstiegs der Geschwindigkeit von Kfz, die zu Fuß Gehende und Radfahrende gefährden. Zu Fuß Gehende und Radfahrende müssen sich auf schmalen Gehwegen und Radwegen drängen, die ohnehin überdimensionierten Fahrbahnen sind großteils leer und verleiten zu überhöhten Geschwindigkeiten von Autos, Motorrädern und Lkws. Das Erweitern von Geh- und Radwegen sowie das Einführen von Temposchutz sind effiziente möglichen Lösungen. In vielen Städten werden bereits Fahrstreifen für den Radverkehr umfunktioniert, um schnell Platz zu schaffen und den Menschen den Umstieg vom Auto auf das Fahrrad zu erleichtern. Denn auch Luftverschmutzung, beispielsweise durch Abgase, kann die Überlebenschancen von Menschen mit Covid-19 erheblich beeinträchtigen.  Wie eine Studie des Geowissenschaftlers Yaron Ogen von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zeigt, sind in Regionen mit einer dauerhaft hohen Schadstoffbelastung deutlich mehr Menschen nach der Infektion mit dem Coronavirus gestorben als in anderen Regionen. Auch eine Studie von US-Forschern der Harvard-Universität deutet darauf hin, dass es einen Zusammenhang gibt. 

Bogotá

Eine der ersten Städte, die Radfahren als Teil der Lösung erkannte, war die kolumbianische Hauptstadt Bogotá. Dort wurden bereits Mitte März 120 Kilometer Fahrbahnen in temporäre Radwege umgewandelt. Fahrradfahrende BürgerInnen dürfen seither auf vielen Hauptstraßen eine abgetrennte Spur nutzen. Bogotá verfügte bereits vorher über ein relativ großes Radwegenetz von etwa 550 Kilometern Länge. Bereits am ersten Tag sank die Anzahl der Autobus-NutzerInnen um 23 Prozent – und somit auch das Infektionsrisiko.

Bogotás Bürgermeisterin, Claudia López, beschrieb Fahrradfahren als „eine der hygienischsten Alternativen“ als Transportmittel, um die Ausbreitung „des Virus zu verhindern“. Teilweise wurden über Nacht Autofahrstreifen zu Radwegen umgemodelt, meist durch das Aufstellen von Leitkegeln. Teile der Kreuzungen wurden mit mehr Ordnungspersonal besetzt, um das sichere Queren für Radfahrende und FußgängerInnen zu gewährleisten. 

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Berlin 

Ende März widmete der Bezirk in Kreuzberg entlang des Halleschen Ufers sowie in der Zossener Straße die ersten Fahrstreifen zu breiten Radwegen um. Anfang April folgten drei weitere temporäre, breite Radwege. 

Dadurch werde das Fahrradfahren auch sicherer, sagt Verkehrssenatorin Regine Günther (57, Grüne). „Es werden vor allem dort temporäre Radwege markiert, wo bereits dauerhafte Radwege geplant sind“, so Günther. Diese Maßnahmen sollen evaluiert und gegebenenfalls auf andere Bezirke bzw. sogar auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet werden.

"Weiterhin steht den Berliner*innen mit der Nutzung des Fahrrades ein sicheres und gesundes Verkehrsmittel zur Gewährleistung zwingend notwendiger Mobilität und Bewegung an der frischen Luft zur Verfügung. Diesem Verkehrsmittel wird nun temporär mehr Platz gegeben, auch um die Rahmenbedingungen für essenziell notwendige Fahrten in der gegenwärtigen Situation zu verbessern. Damit tragen die Maßnahmen ebenfalls dazu bei, den öffentlichen Personennahverkehr zu entlasten und in S- und U-Bahnen das Gebot der physischen Distanzierung leichter einzuhalten", heißt es in der Presseaussendung

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Budapest

Auch Budapest hat temporäre Radwege für mehrere wichtige Routen in der Stadt eingerichtet. Der drastische Rückgang des sozialen und öffentlichen Lebens hat die Verkehrsmuster grundlegend verändert. Die Zahl der Fahrgäste in einigen Bussen sank um fast 90%, der Pkw-Verkehr ging um etwa die Hälfte zurück. Nach der Umstellung des städtischen Leihradsystems MOL Bubi auf kostenlosen Betrieb hatte der Radverkehr in Budapest zugenommen. Bürgermeister Gergely Karácsony beschloss unter Einbeziehung der EntscheidungsträgerInnen und VerkehrsexpertInnen, die Bedingungen für das Radfahren rasch zu verbessern, um den Verkehrsteilnehmenden eine nachhaltige Transport-Alternative zu bieten und einem wachsenden Trend gerecht zu werden. Mehrspuriger Straßen wurden in jeder Richtung mit einem Radweg ausgestattet. 

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New York

Auch in New York City wurden Fahrbahnspuren in temporäre Radfahrstreifen umgewandelt, einige Straßenzüge wurden für den motorisierten Verkehr komplett gesperrt. Darüber hinaus sind in der Stadt die öffentlichen Radverleihsysteme kostenfrei. Das hat Mitte März fast zu einer Verdoppelung der Nutzerzahlen im Vergleich zum Vorjahr geführt. Ähnliche Entwicklungen waren für Chicago zu vermelden. Auch weitere Städte der USA reagierten rasch: 

In Philadelphia öffnete man am 20. März nach einer Petition von 1.100 Personen den 8km langen Martin Luther King Jr. Drive für den Fuß- und Radverkehr, ebenso wurden in Minneapolis Schnellstraßen am Flussufer für den entmotorisierten Verkehr frei gegeben. Denver führte Pop-up-Rad- und Wanderwege ein, um Menschen dabei zu helfen, sich sozial zu distanzieren. Oakland sperrt 120 km Fahrbahnen für KfZ - 10% der gesamten Stadt.

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Und Außerdem...

London senkt das Tempolimit von 30mph (~50km/h) auf 20mph (~30km/h),  in Pontevedra (Spanien) wurde bereits vor Jahren die gesamte Altstadt zur Fußgängerzone erklärt. Das Ergebnis: keine Verkehrstoten und eine Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen um 70 Prozent. Auch Kopenhagen, Barcelona, Singapur und andere Städte realisieren gerade weitreichende Verbesserungen durch Kfz-befreite Gebiete, um ihr bisheriges Verkehrsproblem zu lösen. 

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Der Plan des Zentrums Pontevedras zeigt, wie schnell man zu Fuß durch die Stadt kommt.

Österreich - Potential nicht ausgeschöpft 

Österreichs Straßen bieten großes Potential, temporäre Fuß- und Radwege einzurichten, allerdings ist bisher in diese Richtung kaum etwas passiert. 

Wien 

In Wien werden nach langem Hin und Her der Koalitionspartner insgesamt 36 Straßen in temporäre Fußgängerstraßen oder Begegnungszonen umfunktioniert. Fußgängerstraßen sind Straßen, in denen Autos verboten sind und Fußgänger die Fahrbahn betreten dürfen. Möglich macht das eine Gesetzesnovelle, die der Nationalrat erst vor Kurzem beschlossen hat. Erfreulich, jedoch fehlen auch konkrete Projekte, um temporäre Radwege einzuführen. Möglich ist das ganz unkompliziert, wie folgende Passage aus dem 4. Covid-Gesetz vom 3.4.2020 erklärt:

"Wenn es aufgrund von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 getroffen werden, erforderlich ist und keine erheblichen Interessen am unbehinderten Fahrzeugverkehr entgegenstehen, kann die Behörde durch Verordnung auf einzelnen Straßen oder Straßenabschnitten entweder dauernd oder für bestimmte Zeiten Fußgängern die Benützung der gesamten Fahrbahn erlauben. Auf den in der Verordnung bezeichneten Straßen oder Straßenteilen ist der Fahrzeugverkehr verboten; ausgenommen davon sind der Fahrradverkehr, das Befahren mit Fahrzeugen des Straßendienstes, der Müllabfuhr, des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Feuerwehr in Ausübung des Dienstes sowie das Befahren zum Zwecke des Zu- und Abfahrens. Fußgänger dürfen den Fahrzeugverkehr nicht mutwillig behindern, die Lenker von Fahrzeugen dürfen Fußgänger nicht behindern oder gefahrden. Soweit die Behörde das Halten und Parken in den in der Verordnung genannten Straßen oder Straßenabschnitten nicht verbietet, darf gehalten und geparkt werden. Eine solche Verordnung ist durch Anschlag an der Arntstafel kundzumachen; zusätzlich ist der Inhalt solcher Verordnungen durch Hinweistafeln am Beginn der von der Verordnung betroffenen Straßenstrecke zu verlautbaren."

Die Radlobby Wien fordert die Aufhebung der Radwegebenützungspflicht sowie die Errichtung von temporären Radwegen. Konkrete Beispiele folgen. 

Oberösterreich

In Linz ist die Nibelungenbrücke die wichtigste Donauquerung - und nach wie vor ein wahres Radweg-Labyrinth. Nicht nur, dass die bestehenden Radwege zu schmal sind, im Nichts enden und wichtige Querverbindungen fehlen: Eine legale Rad-Route über die Nibelungenbrücke ist oft gefährlich, lang  und auch schwer zu finden. 

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Die Nibelungenbrücke in "Normalbetrieb"

Die Nibelungenbrücke bietet sich also gerade jetzt bestens an, um jeweils eine Fahrspur in beiden Fahrtrichtungen für den Radverkehr zu öffnen. Das würde garantieren, dass sich vor allem an schönen Tagen Fußgänger und Radfahrende auf dem schmalen Steig über die Brücke nicht näher kommen müssten, als erlaubt ist. Beide Personengruppen hätten auch im Sinne der Sicherheit mehr Platz, so Helge Langer, Klubobmann der Linzer Grünen: "Diese Maßnahme würde gewährleisten, dass der Sicherheitsabstand eingehalten werden kann."

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So könnte die Nibelungenbrücke während der Coronakrise aussehen

Politisch gibt es für den Vorschlag in der Stadtregierung nicht besonders viel Applaus. Im Gegenteil: Sowohl Bürgermeister Klaus Luger (SP) als auch der für den Verkehr zuständige Vizebürgermeister Markus Hein (FP) halten davon nichts. 

Tirol 

In Tirol gibt es einige Stellen, die sich gerade jetzt gut eignen, um temporäre Radwege zu errichten. Einige Beispiele: 

  • Innrain: Im Bereich der Freiburgerbrücke und der Karwendelbrücke ist derzeit der Innradweg (eine stark frequentierte Route) wegen Kanalarbeiten gesperrt. Hier kann man definitiv einen der beiden Fahrstreifen für einen temporären Radweg freigeben. 
     
  • Südring (zwischen Einkaufszentrum West und Olympiabrücke): Hier ist die Fahrbahn durchgehend zweispurig und kann bei geringerem Verkehrsaufkommen einspurig geführt werden, damit Radfahrende hier sicher von A nach B kommen. Vor der Olympiabrücke könnte der Radverkehr bei der Graßmayerstrasse wieder auf den Radweg geleitet werden, der dort separat über die Brücke führt.
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  • Reichenauerstrasse: Bei der Einfahrt haben Radfahrende an einer Engstelle mit Straßenbahnschienen und gleichzeitig sehr viel Kfz-Verkehr zu kämpfen. Hier kann man eine Mischung aus öffentlichem Verkehr und Radverkehr gestalten und den KfZ Verkehr in Nebenstraßen führen. 
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Auf dem etwa 100 m langen, engen Straßenabschnitt werden Radfahrende oft bedrängt

Kärnten 

Die Villacher Straße verbindet die Klagenfurter Innenstadt entlang des südlichen Ufers des Lendkanals mit dem Wörther See. Am anderen (nördlichen) Lendufer verläuft die Tarviser Straße - eine parallele Radroute, die grundsätzlich sehr gut funktioniert, allerdings hoffnungslos überfüllt ist, sobald es warm wird. Dort sind dann ganze Familien zu Fuß und mit dem Rad unterwegs, aber natürlich auch schnelle Radfahrer, Läufer, etc. Insgesamt ein sehr schönes Schauspiel, weil der Raum dort wirklich von den Menschen angenommen und wie ein linearer Park benützt wird. Das birgt aber natürlich Probleme für das zugige Vorankommen von Radfahrenden und bringt auch ein gewisses Konfliktpotenzial mit sich.

Die am südlichen Lendufer verlaufende Villacher Straße verfügt ca. ab der Steinernen Brücke über vier Fahrstreifen und stellenweise einen Abbiegestreifen sowie einen Parkstreifen. Im Zuge des Radmasterplans Klagenfurt haben sich Stadt und Land darauf verständigt, dort Platz für das Radfahren und somit eine parallele Entlastungsstrecke für die Tarviser Straße zu schaffen. Nach derzeitigem Stand soll der Umbau allerdings erst in frühstens einendhalb bis zwei Jahren stattfinfen. Bereits vor Corona war hier so wenig Kfz-Verkehr, dass man die Fahrstreifen reduzieren hätte können, wie auch seitens des Landes betont wurde. 

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Auf der Villacher Straße ist momentan  kaum KfZ Verkehr und genug Platz, um einen temporären Radweg einzuführen 

Fazit 

In Österreich braucht es akut eine fahrradfreundliche Umgestaltung des Verkehrsraumes, damit den BürgerInnen der Umstieg auf das umweltfreundliche Verkehrsmittel Fahrrad leicht gemacht wird und der nötige Abstand gewahrt werden kann. Mehr denn je muss ein zeitgemäßes Radinfrastruktur-Budget von 30 Euro pro EinwohnerIn und Jahr freigemacht werden! 

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