Digitalisierung verändert Arbeit der FahrradbotInnen

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Im Stadtbild Wiens haben sie mittlerweile einen festen Platz: Essenszustellerinnen und –zusteller auf Fahrrädern. In den Farben Rosa, Orange und Schwarz/ Grün schwärmen sie durch die Gassen; warme Mahlzeiten in Schaumstoffkuben auf dem Rücken, Smartphone am Handgelenk oder am Fahrradlenker. Kaum ein Gewerbe setzt so sehr auf neue digitale Möglichkeiten wie die Logistik-Branche. Nicht immer zum Vorteil der Beschäftigten.

Prekarisierung wird vorangetrieben

Zum Verständnis der Veränderung des Fahrradbotenberufs durch App-basierte Auftragsvermittlung hilft die Gegenüberstellung der „neuen“ Essenszustellung und dem „klassischen“ Botengewerbe. In letzterem erfolgt die Auftragsannahme und Verteilung auf die Messenger durch sogenannte Dispatcher, die einen Überblick über die Aufträge, die Position und Fahrtrichtung der Messenger behalten. Doch das Verteilen der Aufträge durch einen menschlichen Dispatcher hat eine Grenze: eine gewisse Anzahl an Messengern kann nicht überschritten werden, ohne den Überblick zu verlieren. 

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An dieser Stelle kommt die App ins Spiel. Bei Lieferservices wie Foodora und UberEats übernimmt sie die Verteilung der Aufträge an die Messenger. Durch diese Neuerung kann eine Vielzahl an Zustellenden gleichzeitig disponiert werden. Menschliche Dispatcher werden weitgehend überflüssig.Die Arbeitsweise der verwendeten App unterscheidet sich jedoch in einem entscheidenden Punkt von jener klassischer Botendienste: sie teilt den Zustellenden immer nur einen Auftrag zu. Erst wenn eine Mahlzeit ausgeliefert ist, kann der nächste Auftrag eingebucht werden. 

Während Messenger in der klassischen Botendienst-Logistik oft mehrere Aufträge zugeteilt bekommen, etwa weil die Abholorte nahe beieinander liegen, werden bei den Algorithmus-kontrollierten Zustelldiensten die Arbeitsschritte möglichst kleinteilig ausgelegt, um die einzelnen Arbeitsschritte besser kontrollieren und digital steuern zu können.

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Für die Zustellenden hat dies – wie Buchautor Benjamin Herr  in seinem soeben erschienenen Buch „Ausgeliefert“ analysiert – negative Effekte: eine Dequalifizierung der Messenger setzt ein. Die Möglichkeit, auf besondere Bedürfnisse von Kunden einzugehen fällt ebenso weg, wie der Umgang mit spontan auftretenden Änderungen bei Lieferungen – beides ist in der App nicht vorgesehen. Weiters gibt die App das Routing der Messenger vor. Die Kerndisziplin des Botendienstes wird durch diese Automatisierung sehr stark zergliedert, entstehende Ineffizienz der einzelnen Messenger wird durch eine hohe Anzahl an Zustellenden kompensiert. 

Algorithmus verteilt Aufträge

Bestand bei klassischen Botendiensten zwischen Unternehmen und Messengern ein mehr oder weniger persönliches Verhältnis, erscheinen die Zustellenden in App-orientierten Firmen vor allem als sich bewegende GPS- Punkte auf digitalen Landkarten – die App wirkt sich als Barriere zwischen Unternehmen und Messengern aus. Räume wie etwa gemeinsam benutzte Werkstätten werden eingespart, wodurch auch der soziale Kontakt zwischen den Zustellenden weitestgehend ausbleibt.

Es darf jedoch als positives Signal bewertet werden, dass sich die Zustellenden inzwischen besser organisieren. So wurde jüngst bei Foodora ein Betriebsrat gegründet und es laufen Bemühungen, eine Berufsinnung der (Fahrrad-)Kuriere und Essenszusteller – kurz B.I.K.E. – zu schaffen.

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Herr zieht in seinem Buch folgende Conclusio: „Plattformbasiertes Arbeiten setzt die Prekarisierung von Arbeit weiter fort. Das wirft die Frage auf, wie sozial nachhaltig die Form bezahlter Beschäftigung sein kann.“ 

„Ausgeliefert. Fahrräder, Apps und die neue Art der Essenszustellung“ von Benjamin Herr, erschienen im ÖGB Verlag, 164 Seiten, 24,90€, ISBN: 978-3-99046-323-9

Für die Recherchen zu diesem Text, der im Drahtesel 4/2018 erschient, griff der Autor auf die Materialen eines Interviews zurück, das Alec Hager (Die Radvokaten) mit Benjamin Herr für die Sendung RadRadRadio auf Radio Orange geführt hat.