Analyse: Stadt Wien & Bund-Länder-Übereinkommen

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Fast ein Jahr ist es jetzt her, dass im Wiener Rathaus Vertreter*innen aller Bundesländer, des Städte- und des Gemeindebunds sowie Klimaschutzministerin Leonore Gewessler ihre Unterschriften unter ein wichtiges Dokument gesetzt haben: das Übereinkommen zur Förderung des Radverkehrs in Österreich. Das Anfang April 2022 beim Österreichischen Radgipfel geschlossene Übereinkommen hat das Ziel, den Anteil des Radverkehrs am gesamten österreichischen Verkehr innerhalb von nur drei Jahren von sieben auf 13 Prozent beinahe zu verdoppeln. Das Übereinkommen beinhaltet zehn Schwerpunktaktivitäten, die die Unterzeichnenden mehr, weniger oder nicht betreffen.
Es enthält allerdings viele recht unverbindliche Aussagen wie „wir bekennen uns zu ...“, terminisierte Meilensteine und konkrete Budgetzusagen fehlen. Eine Verfolgung der Umsetzung und das Nachhaken bei Verwaltung und Politik ist damit erschwert.
Den baldigen Jahrestag hat die Radlobby Wien zum Anlass für eine Evaluierung der Umsetzung in Wien genommen und eine Zwischenbilanz der für die Stadt relevanten Schwerpunktaktivitäten erstellt.

Bedürfnisse des Radverkehrs stärker berücksichtigen

Die Planungskapazitäten für Radverkehrsinfrastruktur- und Straßenbau wurden erheblich erhöht. Sonst wären die für das Jahr 2022 geplanten 55 Radverkehrsprojekte nicht möglich gewesen. Der Stadt zufolge sind per Ende März jedoch erst 30 Projekte fertiggestellt worden. Laut Verkehrsstadträtin Sima sind die Bauabteilungen am Limit ihrer Kapazitäten .

Dass nicht alles, was in die Jahresplanung aufgenommen wurde, auch planmäßig fertig gestellt wird, kann passieren.  Da die Stadt erklärt hat, den Radwegeausbau weiter intensiv zu betreiben, wäre eine Aufstockung der Kapazitäten der Bauabteilungen zweckmäßig. Auffallend ist der große Unterschied von Anzahl und Umfang der Projekte in den Bezirken. Ein Positivbeispiel ist die Donaustadt, wo sieben Projekte auf der Liste für das Jahr 2022 stehen, davon umfangreiche und hochqualitative Bauvorhaben wie die Radschnellverbindung Wagramer Straße. Zum Vergleich: Floridsdorf mit zwei kleinen Projekten.

Erwähnenswerte Projekte sind auch der Radweg bzw. Geh- und Radweg in der Gersthofer Straße/Pötzleinsdorfer Straße, der Radweg Gunoldstraße mit der neuen Brücke über den Donaukanal und die Rampen zum Donaukanalradweg auf beiden Seiten des Donaukanals, der neue Erdberger Steg, Radweg Cottagegasse und Krottenbachstraße, Radweg Ettrichstraße und Radweg Lorenz-Müller-Gasse.

Wichtig ist auch der Ausbau der Radverbindungen nach Niederösterreich. Aktuelles Beispiel ist die Alberner Hafenzufahrtsstraße, wo ein gemeinsam mit Niederösterreich geplanter Radweg nach Mannswörth geplant ist.

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Rechtsrahmen entwickeln

In der Wiener Bauordnung ist bei der Errichtung von Wohngebäuden je 30 Quadratmeter Wohnnutzfläche ein Fahrradabstellplatz vorzusehen, wobei weder die Größe des Abstellplatzes oder der Manövrierflächen noch die Qualität der Fahrradständersysteme definiert ist. Für gewerbliche Gebäude, Schulen und Hochschulen, Geschäfte und mehr fehlen rechtliche Regelungen komplett. Die Bauordnung wird derzeit überarbeitet. Hier sollten quantitative und qualitative Regelungen zu Fahrradparkplätzen in allen Gebäudearten sowie entsprechende Kontrolle & Prozesse der Einhaltung dieser Regelungen aufgenommen werden .

Investitionsbedarf feststellen

Eine im April 2022 präsentierte Studie von Planoptimo und Verracon hat im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz und aller neun Bundesländer analysiert, welche Maßnahmen und Investitionssummen nötig sind, damit in Österreich mehr Menschen mit dem Rad fahren und somit die Ziele des Masterplans Radfahren bis 2030 erreicht werden können. Rund sieben Milliarden Euro sind das Ergebnis, wenn man die höchste Qualitätsstufe heranzieht. Diese Summe soll gemeinsam vom Bund, Länder und Gemeinden/Städteebene aufgebracht werden. Pro Einwohner*in entspricht dies durchschnittlich 77 Euro im Jahr. Für Wien hat die Radlobby Wien auf Basis der Studie ein notwendiges Investitionsniveau von 50 Euro pro Einwohner pro Jahr abgeleitet.

Für das Jahr 2022 waren in Wien 26 Millionen Euro für den Radverkehr eingeplant, was 13 Euro je Einwohner*in entspricht. Die Stadt nützt nach unserem Wissen die Bundesförderung umfangreich, die auf maximal 50% der förderbaren Kosten begrenzt ist. Somit können noch bis zu 13 Millionen dazukommen, was eine Gesamtsumme von 39 Millionen oder 19,5 € je Einwohner*in ergäbe. Das ist eine massive Steigerung gegenüber früher, zu der angepeilten Investitionssumme gibt es aber noch genug Luft nach oben.

Aufnahme überregionaler Radrouten in Landesstraßengesetze 

Die überregionalen Radrouten in Wien sind in der Planung des Hauptradverkehrsnetzes vorhanden und werden gemäß Stadtverfassung von der Stadt finanziert und errichtet. Dieser Punkt ist somit schon länger erfüllt.

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GIP-Daten im Radinfrastrukturbereich erweitern

GIP steht für Graphenintegrationsplattform und dort sollen alle Verkehrsdaten der öffentlichen Hand in Österreich eingepflegt werden. Sie dienen als Planungsgrundlage für die Verkehrsinfrastruktur.

Die Radfahranlagen, Radrouten, Radabstellanlagen, Ampeln, verkehrsberuhigten Bereiche, Tempolimits und mehr sind detailliert im Online-Stadtplan Wien integriert. Ein Manko gibt es in der fehlenden Übersichtlichkeit und Erkennbarkeit von durchgängigen Routen. Ein Detail: Da fahrradfreundliche Straßen keine eigene Radinfrastruktur sind, werden sie aktuell im Stadtplan als "Radroute" o.ä. abgebildet und können für die Routenwahl nicht besonders berücksichtigt werden. Der einzige Unterschied zu echten Fahrradstraßen ist oft nur das fehlende Durchfahrtsverbot für Kraftfahrzeuge.

Gemeinsame österreichweite Motivationskampagne „Österreich radelt“ ausbauen

Die Stadt Wien nimmt an der Motivationskampagne teil. Die Mobilitätsagentur bewirbt das Radfahren umfangreich in sozialen Medien, im Print, auf der eigenen Website und mehr. 

Schnittstelle Radverkehr und Öffentlicher Verkehr optimieren

Bei der Errichtung von Radinfrastruktur wird die Anbindung an hochrangige ÖV-Knoten mitberücksichtigt. Aktuell sind fast alle Bahnhöfe und U-Bahn-Stationen an das Radverkehrsnetz gut angeschlossen. 
Bei der Errichtung oder Modernisierung von Bahnhöfen werden meistens Fahrradständer errichtet.  Ein erheblicher Ausbaubedarf gibt es bei überdachten Radabstellplätzen und Fahrradboxen. 

Bei der Unterfertigung des Abkommens erstellte die Radlobby eine erste Analyse, die hier abrufbar ist.