WienWahl 2020: Platz fürs Rad?

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Am Sonntag, dem 11. Oktober 2020, finden die Wiener Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen 2020 statt. Die Regierungsparteien schicken Michael Ludwig (SPÖ) und Birgit Hebein (Grüne) ins Rennen, die Spitzenkandidaten der Opposition sind Gernot Blümel (ÖVP), Dominik Nepp (FPÖ) und Christoph Wiederkehr (NEOS). Neu treten die Parteien Team HC Strache, LINKS, SÖZ sowie die Bierpartei an. 
Wir werfen einen Blick auf radrelevante Themen der Stadt und analysieren, wie die jeweiligen Parteien dazu stehen bzw. standen. Wir wollen herausfinden: Mit welchen Parteien ist eine radfreundliche Stadt mit Platz fürs Rad möglich?

Platz für Wien 

Die Initiative Platz für Wien hat 18 Forderungen für eine klimagerechte, kindgerechte und flächengerechte Stadt mit hoher Lebensqualität entwickelt. Die Maßnahmen sollen in einem Zeitraum von fünf bzw. zehn Jahren umgesetzt werden: von der Wien-Wahl 2020 bis zum Jahr 2025 bzw. 2030. NEOS und Grüne unterzeichneten bereits alle Forderungen, eindeutige Unterstützung wurde auch von der Partei LINKS zugesichert. Die SPÖ nahm die fünf Rad-Forderungen in ihr Wahlprogramm auf und schnitt weitere acht darin an. Die ÖVP und FPÖ sowie die anderen Wien-Parteien unterstützen bisher nicht die Forderungen von Platz für Wien, wo man mittlerweile über 54.000 Unterschriften zählt.
Hier klicken für mehr Infos und zum Unterschreiben: Platz für Wien

Unterstützung der Parteien - Platz Für Wien

 

Platz Für Wien in den Bezirken

Viele Bezirksvorstehungen befinden sich auf einem Zick-Zack-Kurs was die Forderungen von Platz für Wien betrifft. Mit Stand 7. Oktober unterstützten nur 11 der 23 Bezirksvorstehungen die Forderungen nach der flächengerechten, kindgerechten und klimagerechten Stadt!

  • Unterstützung: Bezirke 2, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 12, 15, 16 und 18
  • Keine Unterstützung: Bezirke 1, 3, 11, 13, 19, 20, 21, 22 und 23
  • Unklar: Bezirke 8, 14 und 17
     
Karte der Bezirke und Status hinsichtlich PlatzFürWien-Forderungen

Unterstützung der Bezirke, Stand 18.September

Stadtentwicklungsplan -  Fachkonzept Mobilität

Der Stadtentwicklungsplan wurde 2014 vom Wiener Gemeinderat nach einer Debatte beschlossen. Dafür stimmten SPÖ und Grüne; dagegen waren ÖVP und FPÖ. Der Stadtentwicklungsplan sieht vor, dass 2025 die Wienerinnen und Wiener 80 Prozent der Wege mit dem öffentlichen Verkehr, auf dem Rad oder zu Fuß zurücklegen. Im Jahr 2019 waren es nur 73 Prozent. „Wien schafft ein dichtes und attraktives Fuß­ und Radwegenetz für die Stadt der kurzen Wege“ heißt es. Bisher reichen die umgesetzten oder fixierten Maßnahmen im Fuß & Radverkehr nicht aus, um dieses Ziel zu erreichen. Immer wieder werden wichtige Projekte aufgrund von parteipolitischen Interessen in den einzelnen Bezirken verzögert oder gar verhindert. Hier sind insbesondere die BezirkspolitikerInnen von ÖVP und FPÖ zu nennen, die gegen beinahe jede Maßnahme gemäß Stadtentwicklungsplan im Radverkehr wettern. Bei größeren Radinfrastruktur-Projekten auf seit Jahrzehnten vereinbarten Hauptradrouten (siehe Naschmarktradweg, Fahrradstraße Argentinierstraße, Radweg Brünner Straße sowie Prager Straße und Wagramer Straße) zählen auch regelmäßig Mandatare und Parteien der SPÖ zu den bremsenden Kräften. 

Fehlende Rad-Investitionen    

Seit mehr als einem Jahrzehnt schon investiert Wien nur rund 6 Mio. Euro, insgesamt grob 4 Euro pro EinwohnerIn inklusive Bundesmittel. Mindestens ebenso lange setzt sich die Radlobby für eine Erhöhung der Rad-Investitionen ein; leider bisher ohne größeren Erfolg. Die Investitionen stagnieren seit vielen Jahren. Die NEOS brachten seit 2019 drei Anträge für ein dezidiertes Radverkehrsbudget und eine Erhöhung der Investitionen im Gemeinderat zur Abstimmung. Alle drei Mal stimmten SPÖ und Grüne dagegen. Von Seiten der Grünen wird dies mit der bindenden Koalition mit der SPÖ begründet. Die SPÖ wiederum sprach sich viele Jahre gegen eine Erhöhung der Rad-Investitionen aus, obwohl das Kaputtsparen hier seit vielen Jahren bekannt ist. Die ÖVP stimmte für die Anträge, zuletzt auch die FPÖ. Bei konkreten Radwegebau-Projekten sind diese beiden wiederum regelmäßig dagegen. Die Radlobby Wien fordert ein Radbudget von 30 € pro Einwohner und Jahr. Vorbildlich investieren gerade Paris und Graz diesen Betrag. Offensichtlich: Ohne Investitionen liegt das Ziel der Radverkehrsverdoppelung in weiter Ferne. An den Koalitionsverhandlungen nach der WienWahl wird es liegen, ob Wien endlich ein nennenswertes Radverkehrsbudget bekommt.

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Pop Up Radwege

Nach wochenlangen Gesprächen wurden letztlich vier temporäre Radwege errichtet, um den erhöhten Bedarf an sicherer Radinfrastruktur zu erfüllen, der durch die Corona-bedingte Vermeidung des öffentlichen Verkehrs entstanden war. Vorangetrieben wurde dies vor allem durch die Grünen. 130 Kilometer neue Radspuren hatte die Initiative Platz für Wien in Zusammenarbeit mit der Radlobby Wien gefordert. Während andere Städte weltweit quasi über Nacht hunderte Kilometer sicherer Radinfrastruktur erschufen, beträgt in Wien die bisher umgesetzte Länge nur 2,5 Kilometer. Mit dem Ende der ersten Phase ab Oktober 2020 sogar nur noch 1,5 Kilometer. Ab 1. November werden es wieder 0 Kilometer sein. Dennoch demonstrierten Anhänger der FPÖ gegen die Pop-Up Bikelane Hörlgasse. Die SPÖ übte sich auf Wien-Ebene in Zurückhaltung, wetterte aber gemeinsam mit der ÖVP und FPÖ in den Bezirken 2 und 22 massiv dagegen. Im 9. Bezirk begrüßte die SPÖ die Pop-Up-Radwege als Auftakt für eine langfristige Umgestaltung der Hörlgasse.

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Rad-Langstrecken

Das 2014 von SPÖ und Grünen beschlossene Fachkonzept Mobilität enthält Rad-Langstrecken vom Stadtzentrum bis an den Stadtrand. Bis ins Jahr 2019 wurden Qualitätskriterien definiert, anhand derer der Ausbaugrad von Rad-Langstrecken gemessen wird. Entgegen den politischen Willensbekundungen wurde bisher keine einzige der drei Rad-Langstrecken fertiggestellt. Am weitesten voran geschritten ist die Rad-Langstrecke Süd – ihre Fertigstellung wäre eigentlich für 2018 vorgesehen gewesen, sie scheitert jedoch bis heute an ihren eigenen Qualitätskriterien weil die Fahrradstraße Argentinierstraße fehlt. Bisher fehlt dafür die Zustimmung der Bezirksvorstehung Wieden wenn man den Grünen glaubt und das "Gesamtprojekt der Verkehrsstadträtin", wenn man der Bezirksvorstehung zuhört. Verkürzt kann man bilanzieren: Wenn sich zwei streiten freut sich der Stillstand. 

Begegnungszone Mariahilfer Straße

Im August 2015 wurde die Mariahilfer Straße zur Begegnungszone. Die Bezirksvorstehung des sechsten Bezirks befürwortete das Projekt über Jahre, die damalige grüne Stadträtin Maria Vassilakou startete den Umbau. Bis zuletzt war die SPÖ gespalten bis sehr kritisch; ÖVP und FPÖ, sowie die Wirtschaftskammer wetterten mit Unterstützung des Boulevards über Jahre gegen das Projekt. Heute ist die Mariahilfer Straße ein internationales Vorbild für gemeinsam genutzten Raum. Die Verkehrssicherheit ist massiv gestiegen (wir deckten auf),  die Wirtschaft wurde enorm angekurbelt (stärkste Einkaufsstraße Österreichs). Heute fordert die Wirtschaftskammer in jedem Bezirk mindestens eine Begegnungszone.

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Verkehrskonzept Erster Bezirk

Seit Monaten wird über eine autofreie Innenstadt diskutiert, die Zahl der Pkw-Fahrten in den ersten Bezirk soll sich in einem ersten Schritt um rund ein Viertel verringern. Die grüne Verkehrsstadträtin Birgit Hebein legte vor kurzem ihren Entwurf vor, ihre Partei will eine Umsetzung noch vor der Wien-Wahl. Auch die ÖVP Innere Stadt treibt den Prozess voran, die FPÖ ist dagegen. Die SPÖ fordert teils mehr Umgestaltung, ist mit dem vorliegenden Konzept aber nicht zufrieden. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat sich zuletzt gegen die geplanten Zufahrtsbeschränkungen ausgesprochen - nun auch hier also Stillstand. Wo bleibt der große Wurf an Lebensqualität für das Herz von Wien?

Masterplan Fahrradstraßen

Die Radlobby Wien hatte ab 2010 das hohe Potential der Fahrradstraßen für die Mobiltätswende erkannt. Wir starteten 2017 die Petition „Fahrradstraßen für jeden Wiener Bezirk!“ mit über 2.000 Unterschriften. Im Jahr 2018 wurde der Masterplan Fahrradstraßen durch die damalige Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou beauftragt. Für ganz Wien wurden Optionen für Fahrradstraßen ausgewählt und nach fachlichen Kriterien und Umsetzungsmöglichkeiten beurteilt. Jeder Wiener Bezirk bekam eine vielseitige zugeschnittene Unterlage mit den in seinem Bezirk erarbeiteten Vorschlägen. Die Umsetzung von Fahrradstraßen ging mangels Budget (s.o.) jedoch langsam voran. Erst im Jahr 2020 sind im Radverkehrsbauprogramm eine Reihe von Fahrradstraßen vorgesehen. Aktuell gibt es in ganz Wien nur zehn Fahrradstraßen – gezählt anhand der effektiven Routen, nicht Straßennamen.

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Citybikes

Die Wiener Citybikes mit ihren 121 Stationen gibt es seit 2003, Wien war damals weltweit Vorreiter. Doch vor Kurzem drohte dem beliebten Leihradsystem das Aus. Die Gewista baute die Hälfte ihrer Stationen ab, da die Kosten in der Höhe von 1,1 Millionen Euro pro Jahr nicht von der Stadt übernommen wurden. NEOS, Grüne und FPÖ sprachen sich dezidiert für einen Erhalt des Citybikes aus. In den Verhandlungen zwischen der Firma Gewista und der Stadt Wien gab es keine Lösung, ein anderer Weg war notwendig. Nach einem Vorschlag von Verkehrsstadträtin Hebein sprach sich Bürgermeister Ludwig  öffentlich für eine Weiterführung und Ausbau des beliebten CityBike-Systems aus und beauftragte die Wiener Linien.

Bemerkenswert: Im Vorwahlkampf entwickelte sich hierbei ein Scheingefecht mit hohem Symbolwert zwischen den verschiedenen Parteien. Seit 26. August 2020 ist das Citybike-System wieder in Betrieb. Wie, wo und wann der dringend benötigte Ausbau (Verdoppelung der Stationen zur Netzverdichtung sowie Modernisierung) stattfinden wird ist noch unklar. Die Radlobby Wien wurde bisher nicht in diese Entscheidungen eingebunden.

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