Nach einer längeren coronabedingten Unterbrechung konnte der "Branchentreff Fahrrad" am 24.11....

Grünpfeil: Wien will aufholen

Neuerdings können die Behörden Radfahrenden an einzelnen Kreuzungen das Rechtsabbiegen bei Rot erlauben. Aber die Umsetzung verläuft schleppend – nur Linz geht mit gutem Beispiel voran. Wien versucht jetzt aufzuholen.
Update 30. April 2023:
Mit 3. Mai 2023 sind in Wien an über 170 Stellen Grünpfeile angebracht. Die Stadt Wien hat Ende April dazu eine Liste veröffentlicht. Sie ist hier auf der Homepage der Mobillitätsagentur zu finden.
Der Bezirksvergleich zeigt: In der Inneren Stadt und in Favoriten hängen die meisten Tafeln. Hier gab es Initiativen von Organisationen und Fraktionen, rasch die Grünpfeile in der Fläche anzubringen. Die Bezirke Josefstadt, Simmering und Liesing haben noch gar keine. Auch am Alsergrund, Meidling und Ottakring ist mit jeweils einer einzigen Tafel noch nichts erreicht.
Österreich zieht mit
Seit einem knappen halben Jahr ist endlich auch in Österreich erlaubt, was in Ländern wie Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Dänemark und der Schweiz schon länger gang und gäbe ist: Seit der Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO), die am 1. Oktober in Kraft trat, können Bezirkshauptmannschaften und Magistrate Radfahrenden an einzelnen Kreuzungen das Rechtsabbiegen bei Rot erlauben, indem sie dort per Verordnung ein Zusatzschild mit grünem Pfeil anbringen lassen. An T-Kreuzungen können sie mit solchen Schildern auch das Geradeausfahren bei Rot ermöglichen.

Vorbild Paris: Hier funktioniert "Rechts bei Rot" bereits
29 Schilder in ganz Österreich
Eine sinnvolle Maßnahme, sagt Radlobby-Sprecher Roland Romano: „Ampeln wurden primär für den motorisierten Verkehr erfunden. Fußgänger*innen und Radfahrende kommen meist ohne Ampel aus. Der Grünpfeil fürs Rad ist daher ein Schritt in die richtige Richtung, um unnötige Wartezeiten zu reduzieren.“
Aber in den ersten fünf Monaten wurden im ganzen Land insgesamt gerade einmal 29 Zusatzschilder mit grünem Pfeil aufgehängt – gut die Hälfte davon in einer einzigen Stadt, nämlich in Linz. Warum verläuft die Umsetzung so schleppend? Und was kann Linz, was alle anderen Städte nicht können?

Kreuzung Wuestenrotstrasse - Khevenhuellerstrasse in Linz
Sechs Bundesländer noch ganz ohne Pfeil
Die Vorreiterrolle der oberösterreichischen Landeshauptstadt zeichnete sich schon am ersten Tag ab, an dem die StVO-Novelle galt: Gleich am 1. Oktober ließen die Linzer Behörden Österreichs erstes Schild mit grünem Pfeil anbringen, seither dürfen Radfahrende auch bei Rot von der Linzer Landstraße nach rechts in die Bürgerstraße einbiegen. 20 weitere Tafeln kündigte die Stadt damals an, mit Stand Ende Jänner hingen insgesamt 15 Schilder an 13 Kreuzungen. Sieben weitere sind laut Magistrat derzeit in Planung.
In Wien, wo fast sieben Mal so viele Ampeln stehen wie in Linz, wurden im Oktober zehn Grünpfeil-Tafeln an acht Kreuzungen angebracht. Wir berichteten ausführlich und stellen eine Reihe an hochauflösenden Fotos zur Verfügung.
In der Stadt Salzburg, der die dortige Radlobby eine Liste mit 40 geeigneten Kreuzungen übergab, gibt es bisher vier Grünpfeil-Schilder, darunter die erste Geradeaus-Variante. Während Linz und Wien fast ausschließlich Relationen auswählten, wo vor und nach dem Abbiegen Radwege vorhanden sind, probiert Salzburg Rechts bei Rot in unterschiedlichen Kontexten aus.

In sechs Bundesländern, nämlich Niederösterreich, der Steiermark, Kärnten, dem Burgenland, Tirol und Vorarlberg hängt den Radlobby-Landesorganisationen und den zuständigen Behörden zufolge noch kein einziger grüner Pfeil. Dabei mangelt es nicht an Vorschlägen für geeignete Kreuzungen: Die Radlobby ARGUS Steiermark etwa hat der Stadt Graz eine Liste von 48 Kreuzungen übermittelt.
Die Radlobby hat alle bisher umgesetzten Grünpfeile in Österreich gesammelt (Stand: Feb. 2023):
„Momentan noch nicht in Planung“
Ein Teil des Problems könnte sein, dass die Einsatzkriterien der Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr (FSV) - hier kostenfrei herunterladen erst spät veröffentlicht wurden. Ihr Arbeitspapier enthält klare Empfehlungen zur Frage, wo das Rechtsabbiegen bzw. Geradeausfahren bei Rot für Radfahrende sicher und konfliktfrei möglich wäre – aber es wurde erst mehr als zwei Monate nach Inkrafttreten der StVO-Novelle veröffentlicht, im Dezember 2022, und die Veröffentlichung wurde den Städten und Ländern offenbar auch nicht sehr offensiv kommuniziert. Das dürfte bei einigen zuständigen Behörden zu offenen Fragen geführt und so die Umsetzung verzögert haben.
Dazu kommt, dass die Behörden für jede vorgeschlagene Kreuzung eine Einzelfallprüfung vornehmen müssen, es ihnen aber an Radverkehrsplaner*innen mangelt, wie eine Studie zum Investitionsbedarf in den Radverkehr im Auftrag der Österreichischen Energieagentur vor einigen Monaten aufgezeigt hat. Nur: Warum funktioniert es dann in Linz? Was hat Linz, was der Rest Österreichs nicht hat?

Eine konkrete Aussage dazu ist aus der oberösterreichischen Landeshauptstadt nicht zu bekommen, auf Anfrage erklärt der für Verkehrsplanung zuständige Vizebürgermeister Martin Hajart (ÖVP) nur: „Weil wir den Rückstand bei der Fahrradattraktivierung aufholen wollen“.
Aber vielleicht lässt sich diese vage Antwort in eine konkrete übersetzen: Was Linz hat und woran es anderswo fehlt, das ist wohl schlicht der politische Wille. Das Büro des Kärntner Verkehrslandesrats Sebastian Schnuschnig (ÖVP) etwa antwortete im Herbst auf eine Anfrage der Austria Presse Agentur, die Regelung habe Konfliktpotenzial und man wolle abwarten, ob sie sich in anderen Bundesländern bewährt. Die Klagenfurter Straßenbaureferentin kündigte später immerhin eine einzelne Zusatztafel für die Stadt an, an der Kreuzung Pernhartgasse/Dr.-Hermann-Gasse. Das für Verkehrsplanung verantwortliche Magistrat von St. Pölten antwortet auf Anfrage, Rechts bei Rot sei „momentan noch nicht in Planung“.
Wien will jetzt aufholen
Die Abteilung für Mobilitätsplanung des Landes Tirol scheint schlecht informiert und wenig interessiert: Von der Existenz der FSV-Einsatzkriterien erfuhr sie erst durch eine Anfrage der Radlobby Tirol. Und für Österreichs zweitgrößte Stadt Graz kündigte der Leiter des dortigen Straßenamtes im Februar in der Kleinen Zeitung endlich die ersten Schilder mit grünem Pfeil an: Ganze zwei Stück, im Mai sollen sie montiert werden.
Immerhin die Stadt Wien scheint jetzt, mit ein paar Monaten Verspätung, doch noch der Ehrgeiz zu packen: Im März versprach die Stadt gleich 150 weitere Zusatztafeln, die alle noch im April angebracht werden sollen. An welchen Kreuzungen, blieb vorerst unklar.

Auf die Größe kommt es an
Als der Wiener Radverkehrsbeauftragte Martin Blum im Oktober mit einem Video die ersten zehn Zusatztafeln der Stadt bewarb, äußerten auf Twitter viele Nutzer*innen Kritik – nicht nur wegen der geringen Zahl, sondern auch wegen der Größe und Position des im Video sichtbaren Schildes. „Wow, ist die klein“, kommentierte einer der Nutzer. Tatsächlich sind die ersten Wiener Schilder nur 30 x 15 Zentimeter groß, auch künftig will die Stadt bei dieser Größe bleiben. In Linz und Salzburg hingegen sind gut sichtbare größere Tafeln im Einsatz. Die Einsatzkriterien der Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr verlangen „eindeutig erkennbare Zusatztafeln“. Aus Sicht der Radlobby sollten die Tafeln so groß sein, dass man sie bereits einige Sekunden vor dem Anhalten klar erkennen kann.

Dieser Artikel erschien in einer leicht abgewandelten Form im Drahtesel 01/23. Radlobby Mitglieder bekommen die Zeitschrift gratis und genießen zudem die Vorteile des Rundum-Versicherungs-Pakets und Rabatte in diversen Fachgeschäften. Jetzt hier mitglied werden.