PlatzFAIRteilung

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Rede zum Ringradeln am 7. Mai 2021 von Florian von MoVe iT

Auch von meiner Seite herzlich willkommen beim Ringradeln 2.0! Wir freuen uns, dass ihr trotz des durchwachsenen Wetters so zahlreich erschienen seid, um mit uns gemeinsam den Druck für eine faire Aufteilung des Straßenraums weiter zu erhöhen. Bevor wir losfahren, möchte ich uns allen eine kleine Denkaufgabe stellen.

Wir sind heute hier einige hundert Leute. Jetzt stellen wir uns einmal vor, jeder der hier Anwesenden würde nicht neben einem Fahrrad stehen, sondern in einem Auto sitzen. Aber schon in einem anständigen Auto, mit dem man sich nicht zu „genieren“ braucht. Die meisten von uns würden allein in ihrem Auto sitzen, in manchen wären zwei Personen. Im Schnitt sind Pkw nämlich nur von 1,3 Menschen besetzt. Stellen wir uns mal kurz ernsthaft vor, wie viel Platz das brauchen würde. Kleiner Spoiler: Es würde sich hier in der Franz-Graf-Allee nicht ausgehen.

Und jetzt führen wir das Ganze noch ein bisschen weiter und stellen uns vor, jeder von uns würde in seinem Auto mit ca. 50 km/h eine Grazer Vorrangstraße entlangfahren. Bei dieser Geschwindigkeit braucht man natürlich auch einen halbwegs sicheren Abstand nicht nur zu den Seiten, sondern auch zum Auto vor und hinter einem. Insgesamt braucht dann jeder von uns, der alleine in seinem Auto sitzt, 140 m², um sich fortzubewegen. 140 m², damit sich eine Person bewegen kann. Zum Vergleich, eine Person in einer halbwegs gut gefüllten Straßenbahn braucht ca. 7m², eine Fußgängerin in Bewegung braucht 2m² und ein Radfahrer mit 15 km/h braucht ca. 5 m². Im Auto dagegen 140 m². 28 Mal so viel wie mit dem Rad!

Nachdem Pkw so wahnsinnig viel Platz benötigen, haben sich die Verkehrsplaner*innen in den 1960ern gedacht, geben wir ihnen auch den allergrößten Teil des städtischen öffentlichen Raumes. Ist ja nur fair, oder?

Wir alle die hier stehen, und die über 12.000 Grazerinnen und Grazer, die die Forderungen von MoVe iT unterschrieben haben, finden das alles andere als fair. Wir halten das für eine gewaltige Fehlentwicklung, unter der alle Menschen in dieser Stadt leiden, durch ständige Staus, Lärmbelastung, Verkehrsunfälle und schlechte Luft; besonders aber die ärmeren, die sozial schwächeren Menschen, die an den größten Durchzugsstraßen wohnen müssen und die beim Lüften einmal ihre tägliche „Abgaswatschen“ kriegen.

Wir fordern einen Privilegienabbau für den Autoverkehr und eine Umverteilung des Straßenraumes, eine PlatzFAIRteilung, die die aktiven Mobilitätsarten sicherer und komfortabler macht. Eine Verkehrspolitik, die sozial gerecht ist, indem sie Autofahren nicht über den Preis unattraktiver macht, sondern indem sie den Autofahrerinnen und Autofahrern anständige Alternativen bietet! Die sind nämlich, wie einige Biologinnen kürzlich herausgefunden haben, nicht mit ihrem Gefährt verwachsen, sondern ohne gröbere Schmerzen davon trennbar. Und die meisten fahren auch nicht in der Stadt Auto, weil sie Stop-and-go so schön finden, sondern weil die Infrastruktur so gebaut ist, dass Öffi-Fahren, Radfahren und zu-Fuß-Gehen immer noch mit zu vielen Hindernissen verbunden ist.

Das kann und muss man ändern, das haben inzwischen auch die meisten Verantwortlichen der Stadt verstanden. Und sie suchen verzweifelt nach Möglichkeiten, wie man diesen Radfahrern eine anständige Infrastruktur bieten kann, ohne den Autofahrern was wegzunehmen! Und wenn es irgendwo gelingt, einen halben Radweg in eine Straße zu quetschen, ohne Autofahrspuren oder Parkspuren umwandeln zu müssen, wird das als großer Erfolg gefeiert.
Diese Rechnung geht aber aus verschiedenen Gründen nicht auf. Es gibt nicht den Platz, immer nur dazuzubauen, außer wir schieben die Altstadt weg und fangen an, Parks zu asphaltieren.

Städtische Verkehrspolitik ist ein Nullsummenspiel, bei dem der Platzanteil für alle Verkehrsarten zusammen 100 Prozent ergeben muss! Wenn der Anteil von Rad-, Fußverkehr und Öffis steigen soll, muss er irgendwo anders sinken. Und solange man mit dem Auto schneller ist, weil das Auto den Großteil des Platzes hat, wird das nicht passieren. Da helfen auch die 100 Millionen Euro für den Radverkehr nichts, die Graz bis 2030 zur Verfügung hat.

In einer anderen Hinsicht ist Verkehrspolitik aber kein Nullsummenspiel, weil nämlich alle Spielerinnen gewinnen könnten. Durch den viel geringeren Platzverbrauch von Radlerinnen und Radlern können auf der gleichen Fläche viel mehr Menschen schnell vorankommen, wenn ein Teil der Auto-Infrastruktur in Radwege umgewidmet wird. Begonnen werden muss damit sofort, und zwar an den kritischen Stellen der Innenstadt, wo der meiste Verkehr herrscht. Es geht dabei nicht um die gesamten Verkehrsflächen, es geht um einen fairen Anteil der Straße!

Wo ist der Radweg am Joanneumring? Wo ist die angebliche Hauptradroute am Franz-Josef-Kai, wo sich Fußgänger und Radler aneinander vorbeiquetschen müssen und überholen unmöglich ist? Wo ist die Lösung für den Augarten, wo ist der Pop-up-Radweg am Grieskai, der in der letzten Gemeinderatssitzung vom Bürgermeister der angeblichen Radhauptstadt gerade noch verhindert werden konnte?

Ja das kommt alles schon noch, irgendwann einmal vielleicht. Da müssen erst einmal jahrelang Konzepte entwickelt werden, die dann doch nicht umgesetzt werden. Und zwar aus dem Grund, dass sie ja funktionieren könnten!

Der schlimmste Albtraum der Autolobby, und wie sich immer wieder zeigt offensichtlich auch der schlimmste Albtraum des Herrn Bürgermeisters ist folgender: Ein Graz, in dem die Menschen nur mehr in Ausnahmefällen auf ihr Auto angewiesen sind. Ein Graz, in dem man mit dem Rad flächendeckend schneller und komfortabler unterwegs ist als mit dem Auto. Nicht auszudenken, welche Kollateralschäden das verursachen würde!

Die Lebensqualität in stark verkehrsbelasteten Bezirken würde steigen! Es gäbe mehr Platz für konsumfreie Aufenthaltsräume und Bäume. Kinder und ältere Menschen könnten ihre Wege sicher und selbstbestimmt zurücklegen. Und, noch viel schlimmer: Die Stadt würde vielleicht noch ihre selbstgesteckten Klimaziele erreichen!

Stattdessen wird momentan unterirdischer öffentlicher Verkehr von vielen politischen Parteien als Lösung der Grazer Verkehrsprobleme angesehen. So will man sich um die Platzverteilung herumwinden. Alle Varianten, die in den Medien bis jetzt gewälzt wurden haben aber zwei Gemeinsamkeiten:

a) Die Umsetzung dauert Jahrzehnte

Zu Beginn ist für die U-Bahn 2030 als Jahr der Fertigstellung angegeben worden, das ist bei genauerer Nachfrage dann schon auf 2035 hinaufgesetzt worden. Üblicherweise dauern große Tunnelbauvorhaben aber fast immer länger als zunächst geplant. Wesentlich realistischer wäre deshalb eine Inbetriebnahme ca. 2040, also erst in 20 Jahren.

b) Bau- und Betriebskosten sind gewaltig

Erste Schätzungen für die Metro lauten auf € 3,3 Milliarden, doch bei den letzten sechs Infrastrukturprojekten in Graz wurden die prognostizierten Kosten massiv überzogen. Realistischer scheint die Einschätzung jener Expert*innen, die Baukosten von etwa € 5 Milliarden annehmen.

Für den Weg aus der Klimakrise braucht Graz aber Maßnahmen, die innerhalb der nächsten 10 Jahre einen weitgehenden Umstieg vom Auto auf andere Mobilitätsarten bewirken. Bauvorhaben die erst in 20 Jahren beginnen, den Autoverkehr zu reduzieren, sind keine Lösung für die Klimakrise. 2040 will Österreich klimaneutral sein, beim jetzigen Tempo streiten wir noch in 50 Jahren, ob man beim Joanneumring lieber eine von zwei Parkspuren oder doch eine von drei Autospuren umwandeln soll.

Es muss jetzt etwas passieren, und zwar Dinge, die sich auch schnell und relativ billig umsetzen lassen:

1) Aufbau eines hochwertigen Rad- und Fußwegenetzes:

dicht, direkt, durchgängig, komfortabel. Wo es notwendig ist durch Flächenumwandlung von Kfz-Verkehrsflächen

2) Abbau von Autoprivilegien durch Schaffen von Wohnstraßen, Begegnungszonen, Schulstraßen und Superblocks

3) Attraktivierung und Ausbau von Bim, Bus und S-Bahn an der Oberfläche

Genügend Platz für diese Lösungen ist vorhanden, man muss ihn nur besser verteilen. Wir haben keine Zeit mehr, auf Projekte zu warten, die irgendwann einmal vielleicht umgesetzt werden!

Und darum fangen wir jetzt gleich einmal selbst mit der PlatzFAIRteilung an und drehen zwei Runden auf unserem zukünftigen Ringradweg! Los geht's!