Entwurf einer StVO-Novelle in Begutachtung – die Radlobby-Einschätzung

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Das Verkehrsministerium hat dem Parlament den Entwurf für die 30. Novelle der Straßenverkehrsordnung vorgelegt, welcher in Teilen von der Radlobby Österreich im Unterausschuss Radverkehr des BMVIT mitverhandelt wurde. Im vorliegenden Gesetzesentwurf gibt es einige Verbesserungen für den Radverkehr, aber auch neue kritisch zu sehende Passagen. Die Radlobby hat sie begutachtet und liefert hier eine Einschätzung zur 30. Novelle. 

Positiv wie negativ 

Zu den positiven Neuerungen zählen eine Reduktion des Sondernachrangs von Radfahranlagen sowie die weitere Flexibilisierung der Benützungspflicht für breitere und längere Fahrräder. Negativ fallen ein neues Radverbot bei Zebrastreifen sowie die Risiken des Rechts bei Rot für Kraftfahrzeuge auf. Neue Gesetze dürfen angesichts der vorgenommenen Radverkehrsverdoppelung den Radverkehr nicht verunmöglichen und es bräuchte wichtige Sicherheitselemente, die sich jedoch noch nicht im Entwurf finden. (siehe Artikelende)
Wir rufen explizit dazu auf, sich an der Begutachtung zu beteiligen und eine (optional öffentliche) Stellungnahme abzugeben. Hier gibt es sämtliche Infos & Möglichkeit zur Stellungnahme auf der Parlamentshomepage. 

Radfahr- & Mehrzweckstreifen vereinfacht im §2 Abs. 1 lit 7 und §19 StVO

Radfahrstreifen müssen bisher besonders gekennzeichnet, wiederholt mit Fahrradsymbolen markiert und mit dem Schriftzug „ENDE“ versehen sein. Diese ENDE-Markierung soll zukünftig ersatzlos entfallen. Auch die Vorrangregelungen bei Radfahrstreifen sollen sich verändern: Endet ein Radfahrstreifen, so soll zukünftig das Reißverschlusssystem zur Anwendung kommen und der bisherige Sondernachrang entfällt. Ebenso wird klargestellt, dass Fahrzeuge die ihre Fahrtrichtung beibehalten Vorrang gegenüber rechtsabbiegenden Fahrzeugen aus der gleichen Richtung haben. Dies soll den Vorrang von durchgezogenen Radfahrstreifen an Kreuzungen verdeutlichen. 
Die Radlobby begrüßt den Einsatz von allgemeinen Vorrangregeln statt des Sondernachranges bei Radfahrstreifen. Gleichzeitig weisen wir darauf hin, dass die Unterscheidbarkeit von „Radfahrstreifen“ zu anderen Führungsformen  mit Radpiktogrammen verschwimmt, wenn der ENDE-Schriftzug entfällt. - ein potentielles Problem in alltäglichen Verkehrsabläufen.

Radweg-Ende

Sondernachrang eingeschränkt im § 19 Abs. 6a StVO

Bisher gilt beim Verlassen von Radfahranlagen (das sind Radfahrstreifen, Mehrzweckstreifen, Radfahrerüberfahrten, Radwege sowie Geh-&Radwege) ein gesetzlicher Sondernachrang. Radfahrende haben in dieser Situation Wartepflicht gegenüber anderen Fahrzeugen im fließenden Verkehr. Dieser Sondernachrang soll teilweise eingeschränkt werden und nicht mehr für alle Radfahranlagen gelten. Zukünftig bezieht er sich ausschließlich auf das Verlassen von Radwegen oder Geh-&Radwegen, die nicht durch eine Radfahrerüberfahrt fortgesetzt werden.
Eine Verbesserung, allerdings nur teilweise: Die Radlobby setzt sich seit Jahrzehnten für die generelle Abschaffung dieses diskriminierenden Sondernachrangs ein und wird dies auch in ihrer Stellungnahme einfordern.

Neue Art der Radfahrerüberfahrt im §2 Abs 1 lit 12a StVO

Eine neue Art der Radfahrerüberfahrt wird definiert. Bisher wurden Radfahrerüberfahrten ohne Schutzweg oder angrenzend an einen Schutzweg angelegt. Wenn sie in Fortsetzung eines (gemischten) Geh-&Radwegs liegt, soll zukünftig die Fläche der Radfahrerüberfahrt als Schutzweg markiert werden können. Dazu werden die Quadrate der Blockmarkierung links und rechts des Schutzweges und versetzt zu den Streifen des Schutzweges angebracht. Die neue gemischte Radfahrerüberfahrt („Leiter-Modell“ oder "St. Pölter Modell" genannt) kommt bereits bisher in einigen Bundesländern zur Anwendung und bekommt durch diese neue Regelung auch eine rechtliche Grundlage. Der Sondernachrang beim Verlassen einer Radfahrerüberfahrt entfällt. (siehe vorheriger Absatz)
Eine klare Verbesserung der Rechtssicherheit und der verkehrsplanerischen Möglichkeiten, welche die Radlobby in den Gremien ausdrücklich unterstützt hat. Jetzt sind die Gremien aufgerufen, klare Einsatzkriterien dafür in den Richtlinien zu definieren. Was im Entwurf fehlt ist die Anpassung des Tempolimits von 10 km/h vor ungeregelten Radfahrerüberfahrten. „Angepasste Geschwindigkeit“ sollte hier vom Gesetzgeber verlangt werden.
Hinweis: Gemischte Geh-&Radwege eignen sich (weiterhin) nicht für Hauptradrouten und sollten wenn, dann nur in Erschließungsfunktion angelegt werden.

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Neuerungen bei Radfahrstreifen sowie der Radfahrerüberfahrt. Hinweis: Die Beschilderung der neuen Überfahrt ist noch in Diskussion.

Neues Verbot, einen Zebrastreifen zu befahren im §8 Abs. 4a StVO

Ein neues Verbot wird eingeführt: Fahrzeugen (auch Fahrrädern!) soll das Befahren von Schutzwegen in Längsrichtung zukünftig explizit verboten sein. Einzige Ausnahme davon ist die zuvor beschriebene neue gemischte Art der Radfahrerüberfahrt nach dem „Leiter-Modell“.
An vielen Stellen in Österreich gibt es Schutzwege, die in direkter Fortsetzung von Hauptradrouten angelegt wurden. Bisher gingen VerkehrsteilnehmerInnen davon aus, dass dort das Queren für Radfahrende erlaubt ist, jedoch keine Schutzwirkung gilt. Siehe z.B. eine Rechtsausführung des UVS Steiermark aus dem Jahr 1996 die besagt: „Daß das Befahren von Schutzwegen mit Fahrrädern verboten ist, kann der StVO nicht entnommen werden … “. Mit der neuen Bestimmung entstünden viele neue Schiebestrecken in Österreich und das Radfahren dort würde gesetzlich verboten. Ein klarer Rückschritt auf dem Weg zur Radverkehrsverdoppelung.

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Schutzweg zwischen Geh-&Radweg und Radweg, von M.Pintner. Wien 22, Donaustadtstraße bei Lange Alle

Rechts bei Rot für Kfz ermöglicht im §38 Abs. 5a und §54 StVO

Bisher waren veränderte Bedeutungen der Lichtzeichen zur wissenschaftlichen Untersuchung rechtlich nicht möglich, dies soll sich ändern. Für diesen Zweck kann der Bundesminister an Kreuzungen das Rechtsabbiegen per Verordnung erlauben. Dies gilt für alle Fahrzeuge bis 7,5 t (auch Lkw und Busse) und ist an Bedingungen geknüpft. Man muss zuvor angehalten haben und eine Behinderung/Gefährdung anderer muss „ausgeschlossen sein“. Für diese Kreuzungen/Lichtzeichen wird ein neues Verkehrszeichen als Zusatztafel eingeführt: ein grüner Pfeil nach rechts auf weißem Grund.
Die Ermöglichung von Untersuchungen per se ist ein von der Radlobby als positiv erachteter Schritt, für den wir uns seit 2013 einsetzen. Die Festschreibung der zukünftigen Gesetzesvorlage auf Fahrzeuge bis zu 7,5 Tonnen und ausschließlich für das Rechtsabbiegen schafft jedoch einige Probleme. Bekanntermaßen ist Rechts bei Rot mit Fahrrädern sicher möglich (siehe NL, DK, BE, FR), hingegen sind bei Kraftfahrzeugen höhere Sicherheitsrisiken immanent (siehe DE, USA). Des Weiteren beschränkt sich der Entwurf einzig auf das Rechtsabbiegen, während z.B. der Pilotversuch in Frankreich auch andere Fahrrelationen als sicher einstufte. Mittlerweile ist es dort gesetzlich erlaubt, Geradeaus an T-Kreuzungen oder auch alle Relationen bei Rot zu erlauben.

Die Radlobby spricht sich daher klar dafür aus, die veränderten Bedeutungen von Lichtzeichen aus Sicherheitsgründen auf den Radverkehr zu beschränken und auch andere Relationen als das Rechtsabbiegen zu flexibilisieren.

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Rechts bei Rot für Fahrräder in Frankreich

Neue Regeln für breitere und längere Fahrräder im §68 Abs. 1 StVO

Die Regeln zur Benutzung von Radfahranlagen sind in Österreich sehr komplex. Der aktuelle Entwurf sieht zwei neue Regelungen vor: Einspurige Fahrräder mit mehr als 1,7 Meter Radstand (d.h. Modelle wie Bakfiets, Bullit, LongJohn, Load, MCS Truck, …) müssen Radfahranlagen zukünftig nicht mehr benützen. Eine weitere Neuerung beträfe mehrspurige Fahrräder und Anhänger mit einer Breite von bis zu 100 cm: Sie dürften künftig Radfahranlagen benützen. Bisher war dies (mit einer Ausnahme) verboten.
Entgegen der Radlobby-Empfehlung findet sich im Entwurf keine allgemeine Lockerung der Benützungspflicht. Die neue 1,7m-Regelung würde die Regeln weiter verkomplizieren, schafft aber Vorteile für längere Fahrräder. Die 100cm-Regelung erleichtert die Mobilität mit Transporträdern und erhöht die erforderlichen Breiten von Radinfrastruktur. Ein Widerspruch bliebe: Für einspurige Fahrräder mit weniger als 1,7 m Radstand bleibt die Benützungspflicht - unabhängig von der Breite - weiterhin bestehen. 

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Kinder: Fahrradausweis schon im 10. Lebensjahr möglich lt. §65 StVO

Wenn Kinder das 9. Lebensjahr vollendet haben und die 4. Schulstufe besuchen, so kann der Ausweis ausgestellt werden. Bisher war dies erst ab Vollendung des 10. Lebensjahres, jedoch ohne Bindung an die Schulstufe möglich.
Die Änderung ist eine kleine Verbesserung, welche die Wartezeit auf den Fahrradausweis in manchen Fällen reduziert.

Kinder: Kindermobilität vereinfacht im §88 Abs.2 StVO

Bisher unterlagen Kinder unter 12 Jahren beim Benützen von fahrzeugähnlichem Kinderspielzeug (Anm.: Miniscooter, Kinderräder bis 300 mm Felgendurchmesser, …) auf Gehsteigen und Gehwegen einer Beaufsichtigungspflicht durch eine mind. 16 Jahre alte Person. Für Kinder über 8 Jahren entfällt dort zukünftig diese Beaufsichtigungspflicht, wenn das Gerät ausschließlich durch Muskelkraft betrieben ist.
Die neue Regelung ist ein Schritt in die richtige Richtung, denn die bisherige Regelung bildet nicht die Bedürfnisse der jungen VerkehrsteilnehmerInnen ab und entspricht nicht der alltäglichen Praxis. Für selbstbestimmte Kindermobilität am Rad braucht es aber mehr, hier die Empfehlungen der Radlobby. 

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Nicht enthalten

Leider bisher nicht in den Entwurf geschafft haben es wichtige Regelungen, wie

  • die Anpassung der Regelgeschwindigkeit an 30 km/h innerorts und 80 km/h außerorts,
  • die generelle Abschaffung des Sondernachranges und der Benützungspflicht
  • der gesetzliche 1,5 m Überholabstand,
  • die „angepasste Geschwindigkeit“ vor ungeregelten Radfahrerüberfahrten,
  • die generelle Einbahnöffnung,
  • das allgemeine Nebeneinanderfahren und
  • weitere Radlobby-Forderungen zur Aktualisierung der Straßenverkehrsordnung. 


Für Interessierte gibt es auf der Parlamentshomepage sämtliche Informationen zum Entwurf und seit 2017 die Möglichkeit der Stellungnahme durch Privatpersonen. Hier die Stellungnahme der Radlobby Österreich: