Koalition mit Rad? Analyse des ÖVP-Wahlprogramms

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Anlässlich der Nationalratswahl analysiert die Radlobby die Wahlprogramme der wichtigsten kandidierenden Parteien: Welche können die Kriterien für eine radfreundliche Regierung erfüllen? Gibt es ab 2018 also die Möglichkeit für eine Koalition pro Rad? Wir möchten allen österreichischen WählerInnen, die ihre Alltagswege mit dem Rad zurücklegen, eine Entscheidungshilfe bieten. Das betrifft rund 4,8 Millionen Menschen, die laut VCÖ das Fahrrad in Österreich regelmäßig nutzen.

Nach den Analysen der Wahlprogramme der SPÖ , der Grünen und der FPÖ widmen wir uns heute dem Wahlprogramm der auch als "Neue ÖVP" bekannten "Liste Kurz". Sieben Kriterien haben wir der Wahlanalyse zugrunde gelegt, im Detail HIER nachzulesen.

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1. Grundverständnis Fahrrad

Das Wahlprogramm von Sebastian Kurz besteht aus drei Teilen: Teil 1 zu "Neue Gerechtigkeit & Verantwortung, Teil 2 zu "Aufbruch & Wohlstand" und Teil 3 zu "Ordnung & Sicherheit". Insgesamt sind das 250 Seiten, auf denen man nach Begriffen wie „Radverkehr“, „Fahrrad“ oder „Radinfrastruktur“ vergeblich sucht. Die verkehrspolitische Bedeutung des Fahrrades als Verkehrsmittel und Gesundheitsvorsorge wird von der neuen ÖVP also nicht erkannt, auf neue Budgetmittel auf Bundesebenen für den Radverkehr ist nicht zu hoffen. Der "Aufbruch" findet nicht per Rad statt.

2. Klimaziele

In Teil 2 widmet Sebastian Kurz dem Klimaschutz ein eigenes Kapitel. Er bekennt sich zum Pariser Abkommen und will die EU-Ziele für die Reduktion von CO2-Emissionen umsetzen (S. 86), liefert dafür jedoch wenig konkrete Vorschläge. Er erwähnt unter anderem erneuerbare Energiequellen, Abfallwirtschaft und Ressourcenmanagement, Abwasserreinigung und Luftreinhaltung. In Teil 1 erklärt er auf Seite 85, leistbare Mobilität und freie Wahl bei den Verkehrsmitteln sicher stellen zu wollen. Dazu sollen die Straßen- und Schieneninfrastruktur sowie das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln verbessert, sowie ein Österreich-Ticket eingeführt werden, mit dem alle öffentlichen Verkehrsmittel in Österreich verwendet werden können. Elektromobilität wird erwähnt. Das Fahrrad als klimaschonendstes und gesündestes Verkehrsmittel wird ausgeklammert. Gleichzeitig zeigt sich die ÖVP von der Idee selbstfahrender Autos begeistert (Teil 2, S. 91). 

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3. Straßenverkehrsordnung

Die radfreundliche Novelle der StVO ist höchst an der Zeit, offenbar ticken die Uhren der ÖVP aber anders. Zur Abschaffung der diskriminierenden Sonder-Nachrangregeln für Radfahrende, Erleichterungen für radfahrende Kinder und Eltern, der gesetzlichen Regelung des Seitenabstandes beim Überholen und die Ausnahmeregelung für Rechtsabbiegen bei Rot für Radfahrende findet sich in ihrem Wahlprogramm nichts. Nicht verwunderlich, denn die ÖVP hat den schubladenfertigen Entwurf zur StVO-Novelle 2016 des BMVIT bisher schon blockiert.

4. Gesundheitsvorsorge

Das Gesundheitsargument in Teil 1 (S. 92) über „... Vorteile für alle: Die Menschen bleiben gesünder und das System wird entlastet“ bezieht sich nur auf die Vorsorgeuntersuchung, nicht auf die wissenschaftlich belegten positiven Effekte des Radverkehrs. Kurz fordert nur ganz allgemein „bessere Prävention im Gesundheitssystem und stärkere Anreize im Vorsorgebereich“ (Teil 1, S.93). Immerhin will er tägliche Bewegung in der Schule sicherstellen (Teil 2, S. 76). Trotz ausformulierten Interesses an Gesundheitsmaßnahmen will er offenbar keine im Radverkehrsbereich ergreifen und dafür auch keine Mittel freigeben – zumindest erwähnt Kurz das Fahrrad als mobile Gesundheitsvorsorge in keinem einzigen seiner drei Wahlprogramm-Teile. 

5. Vision Zero

Die VP will Straßennetze ausbauen, zu Verkehrssicherheitsmaßnahmen und Geschwindigkeitsbeschränkungen findet sich aber nichts in ihrem Wahlprogramm. Das mutet ironisch an, titelt doch der 33-seitige dritte Teil des Wahlprogramms „Ordnung & Sicherheit“. Das offizielle Ziel der Bundesregierung, gar keine Verkehrstoten mehr auf Österreichs Straßen beklagen zu müssen, scheint die neue ÖVP nicht mittragen zu wollen. 

6. Gerechtes Kilometergeld

Während das Kilometergeld bei der Verwendung eines Autos pro Jahr mit maximal 30.000 Kilometern limitiert ist, liegt die Obergrenze bei Fahrrädern bei nur 1.500 Kilometern pro Jahr, also fünf Kilometer pro Tag. Diese Ungerechtigkeiten müssen endlich beseitigt werden. Sebastian Kurz scheint das nicht so zu sehen, zu diesem Thema äußert er sich in seinem Wahlprogramm nicht. 

7. Natur öffnen

Die ÖVP findet, „Rückzugsorte für Mensch, Tier und Natur sollen bestehen bleiben und auch weiterentwickelt werden“ (Teil 1, S. 81) - die Aufhebung des Fahrverbotes für Radfahrende auf Forststraßen zählt sie nicht zu dieser Weiterentwicklung. ÖVP-Umweltminister Andrä Rupprechter sprach sich im Vorjahr sogar dezitiert gegen die Freigabe der Forststraßen für Mountainbiker aus.

Fazit der Radlobby

Eine gerechte Gesellschaft ist für die ÖVP dann möglich, „wenn Menschen ihre Verantwortung ernst nehmen“ (Teil 1, S. 118), Kurz selbst jedoch klammert wichtige Verantwortungsbereiche wie Klimaschutz im Verkehrssektor aus. Er konzentriert sich statt auf bessere und sicherere Radinfrastruktur lieber auf den boulevardwirksamen Schutz vor vermeintlich überlastender Zuwanderung und schafft es damit nicht, eines der sieben Radlobby-Kriterien für radfreundliche Politik ganz zu erfüllen. Nur in den Bereichen Klima und Gesundheit klingt etwas Verständnis für die Grundproblematik durch.

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Wir ersuchen alle Parteien um Stellungnahme zu unseren Analysen und veröffentlichen die eintreffenden Antworten hier.

(Wahlanalyse: Ines Ingerle und Alec Hager)


 

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