Direkt zum Inhalt

Linzer Courage – Gastbeitrag von Meinhard Lukas zur Nibelungenbrücke

Linz | Submitted on
Regenbogen über der Linzer Nibelungenbrücke, darüber platziert der Text "Linzer Courage - Gastbeitrag von Meinhard Lukas". Links oben ein Profilbild von Meinhard Lukas.
Copyright: Radlobby Linz / Bernhard Holub
Porträtfoto von Meinhard Lukas: (c) Bernhard Holub, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Die Bewegungsräume auf der Nibelungenbrücke wurden neu verteilt. Probehalber, eine Woche. Jetzt dominiert wieder mutlose Defensive. Dabei hat die Versuchsanordnung das Zeug, etwas zu verändern. Auch uns.


Ausgerechnet die freiheitliche Hochburg Wels macht vor, wie zukunftsweisende Stadtentwicklung geht. Das Vorhaben „Volksgarten Neu“ ist Österreichs größtes Entsiegelungsprojekt. 40.000 m² städtische Betonwüste weichen mitten in der Messestadt einer Parklandschaft mit Sport- und Spielplätzen, Hundefreilaufzone und Seerosenteich am Traunufer. Geistiger Vater dieser progressiven Stadtplanung ist FP-Bürgermeister Andreas Rabl.

Und in Linz? Hier hat VP-Vizebürgermeister Martin Hajart – im Einvernehmen mit Verkehrslandesrat Günther Steinkellner (FP) – immerhin den Vorstoß gewagt, der Nibelungenbrücke zwei zusätzliche Fahrradstreifen abzuringen – auf Probe und mit Rückfahrtschein. Hajart weiß: Wer aus dem stadtpolitischen Catenaccio ausbricht, geht ein hohes Risiko ein. Linz hat die aus dem italienischen Fußball bekannte Taktik des Fehlervermeidens und Verteidigens kultiviert wie wenig andere Städte. Sie prägt die Post-Kulturhauptstadt-Ära.

Brennpunkt Nibelungenbrücke

Die Nibelungenbrücke ist ein Schmelztiegel verkehrspolitischer Interessen. Sie dient Straßenbahnen, Kraftfahrzeugen, Radfahrern und Fußgängern, um die Donau zu queren. Vor der Versuchsanordnung waren es je Richtung drei Fahrspuren für Kraftfahrzeuge und jeweils eine Spur für die Radler, die den Namen Radweg nicht verdient. Zu schmal, zu gefährlich ist der jeweilige Streifen auf dem erhöhten Geh- und Radweg beidseits der Brücke.

Das sollte mit Fertigstellung der 305 Millionen Euro teuren Donautalbrücke anders werden. Die Hoffnung, nein, das Versprechen: Der von der neuen Brücke aufgenommene Pendlerverkehr wird die Nibelungenbrücke derart entlasten, dass mehr Raum für die Radfahrer geschaffen werden kann. Auch dafür hat Linz fünf Prozent der Kosten der Donautalbrücke getragen.

Und jetzt ist wieder alles anders: Nach nur einer Woche Versuchsbetrieb haben Steinkellner und Hajart den flussaufwärts gelegenen neuen Radweg beerdigt. Hajart führt Sicherheitsbedenken ins Treffen, Steinkellner geht es um die versuchsbedingten Einschränkungen des motorisierten Verkehrs. Der Weltrekord für den kürzesten Probebetrieb einer Verkehrslösung ist den beiden sicher.

„Mahü“ als Lernprozess

Vielleicht sollte sich unsere Landes- und Stadtpolitik mit der jüngeren Geschichte der Mariahilfer Straße (landläufig „Mahü“) beschäftigen. Sie wurde schon vor mehr als zehn Jahren radikal neu gedacht und gestaltet. Kaum ein Verkehrsprojekt davor hat die Wiener mehr aufgeregt. Aus der zentralen Verbindung zwischen dem Gürtel beim Westbahnhof und dem 1. Bezirk sollte teils Begegnungs- und teils sogar Fußgängerzone werden. Aber was – so die bange Frage damals – wird aus dem Durchzugsverkehr in Gestalt einer gigantischen Blechlawine zu Stoßzeiten?

Die Ängste und Emotionen in Wien waren damals so echt wie jene heute in Linz und Umgebung rund um das Radprovisorium. Die Fronten verliefen nicht zwischen Menschen mit und solchen ohne Auto, sie verliefen nicht zwischen Arm und Reich und auch nicht zwischen den betroffenen Bezirken Neubau und Mariahilf. Sie verliefen – das haben Umfragen gezeigt – zwischen Jung und Alt.

„Die Linzer Politik hat die Taktik des Fehlervermeidens
 und Verteidigens zu lange kultiviert.
 Sie prägt die Post-Kulturhauptstadt-Ära.“

Die Steinkellner-Doktrin („keine Einschränkung des motorisierten Verkehrs“) war und ist zumindest im 6. und 7. Bezirk Wiens nicht mehrheitsfähig: 53,2 Prozent sprachen sich für die Umgestaltung der Mahü aus. Heute kann sich in Wien kaum noch jemand vorstellen, das Rad der Zeit zurückzudrehen – auch nicht die Wiener Wirtschaftskammer. Es war ein kollektiver Lernprozess mit Vorbildfunktion.

„Die Städte des 21. Jahrhunderts gehören den Menschen“, sagte damals der geniale dänische Stadtplaner Jan Gehl dem „Falter“. Er entwarf das Konzept, große Teile des New Yorker Broadways und des Times Square zu einer Flaniermeile umzugestalten. Die erste Testphase dauerte hier übrigens von Mai bis September 2009. Mit allen Anfangsschwierigkeiten wie auch in der Mahü.

Gemeinderat am Zug

Zurück nach Linz, wo heute der Gemeinderat tagt: Wie muss man sich eigentlich eine Versuchsanordnung vorstellen, die nach einer Woche Probebetrieb finale Aussagen und Entscheidungen zulässt? Steinkellner hatte dem Versuch nur mit angezogener Handbremse zugestimmt: Es dürfe zu keinen Beeinträchtigungen des motorisierten Verkehrs kommen. Weil sich dieses Wunder nicht schon zu Beginn des Probebetriebs ereignet hat, war er für den Abbruch.

Hajart beruft sich auf Beobachtungen der Polizei und eine Stellungnahme der Linz Linien, wonach es zu etwa 100 brenzligen Situationen zwischen Straßenbahnen und Fahrzeugen auf der Brücke kam. Im Schreiben ist indes auch nachzulesen, wie es gehen könnte. Dafür „… müsste der Gefahrenraum der Straßenbahntrasse breiter geschützt werden“, schreiben die Linz Linien. Aber wäre dieser Raum nicht ohnedies verfügbar, wenn aus dem Radprovisorium eine fixe Lösung würde? Denn die finalen Abgrenzungen der Radwege kosten deutlich weniger Raum als die provisorischen.

Zahlreiche weitere Fragen konnte der Versuch ob seiner Kürze nicht beantworten: Wäre ein besseres Miteinander auf der Brücke nicht erlernbar gewesen? Hätte ein Rechtsabbiegeverbot in Fahrtrichtung Hauptplatz während der Stoßzeiten die Dinge nicht entspannt? Wäre es nicht bald schon – gerade wegen der Staus – zur gewünschten Verlagerung des Pendler- und Durchzugsverkehrs auf die Donautalbrücke gekommen? Könnte dieser Prozess durch partielle Fahrverbote beschleunigt werden? Welcher Sicherheitsgewinn ist für die Radfahrer zu erzielen? Und so weiter.

Es hat keinen Sinn, den Versuch vor Beantwortung dieser Fragen aufzugeben, wenn er von Anfang an ernst gemeint und gut vorbereitet war. Das ist auch die Position von SPÖ, Grünen, Neos und Linz+. Dann darf man aber gerade von der SPÖ als stimmenstärkster Partei erwarten, dass sie im heutigen Gemeinderat ihr Stimmgewicht in die Waagschale wirft, um ein klares Signal für eine zukunftsorientierte Stadt zu setzen. Sie war es ja, die über Jahre den Catenaccio in Linz kultiviert hat.

Es liegt jetzt am neuen SP-Bürgermeister Dietmar Prammer, dass die Nibelungenbrücke zum Symbol eines neuen couragierten Aufbruchs in Linz wird. Immerhin stand diese Stadt über Jahrzehnte für eine mutige visionäre Politik (Stichwort „sauberste Industriestadt“). Linzer Courage eben.


Univ.-Prof. Dr. Meinhard Lukas ist ein österreichischer Jurist, ehemaliger Rektor der Johannes Kepler Universität Linz und in vielen weiteren Funktionen als Rechtsgutachter, Schiedsrichter und Berater im Einsatz.

 „Die Nibelungenbrücke könnte zum Fanal einer zukunftsvergessenen Stadtplanung werden.
 Oder zum Symbol eines neuen urbanen Aufbruchs in Linz.“


Der Text erschien auch in der Serie "DIE ANDERE SEITE" der OÖNachrichten am 24. April 2025. Wir dürfen ihn mit freundlicher Erlaubnis als Gastbeitrag veröffentlichen.

Zur Petition: Sichere Radwege auf der Nibelungenbrücke

Mehr zum Thema Nibelungenbrücke.


Stichworte: Verkehrspolitik

Linz - Termine