Steiles Fliegen: Über das Bahnradfahren im Ferry Dusika Stadion 

dusika_reinhard_bscherer.jpg

„Ich wollte einfach nur weg“ – Claudia Redtenbachers Liebe zum Bahnradfahren war eindeutig keine auf den ersten Blick. Damals im Oktober 2017, als sie ein Freund überredet hatte, mitzukommen, verließ sie zuerst die Motivation („Ich dachte, was soll ich da blöd im Kreis fahren, ich will lieber an die frische Luft“) und dann der Mut. Dabei ist die 41-Jährige passionierte Rennradlerin im Verein Radcore und hat mehrmals erfolgreich den Ötztaler Radmarathon absolviert. Die 238 km mit 5.500 Hohenmetern bewältigte sie leicht, aber angesichts der 250m langen ovalen Holzbahn mit 45 Grad steilen Kurven, die es auf einem Fahrrad ohne Bremsen, Schaltung oder Freilauf zu befahren gilt, bekam sie es mit der Angst zu tun: „Alle haben es geschafft, ständig hat man das Surren der Räder gehört, Menschen sind im Kreis gesaust. Ich bin zehn Meter gerollt und hab dann gesagt, ich geh jetzt wieder heim“. Florian Posch von Posh Cycling hatte Redtenbacher mit einem Leihrad ausgestattet, alle notwendigen Instruktionen und Erklärungen gegeben und viel Zeit gelassen, doch es war nichts zu machen: „Das war ein richtiges Drama mit Tränen und Angstzuständen. Aber ich hab nicht locker gelassen, ich hab da noch jeden rauf gebracht!“ lacht er.

posch_granadia2.jpeg
Florian Posch und eine Schnupper-Gruppe

Wiederbelebungs-Versuche

Jeden, das sind viele. Der ehemalige Profiradler bietet seit 2009 wöchentlich
Schnuppertrainings an, denn er hat eine Mission: „Ich wollte den Bahnradsport wiederbeleben“. In den Anfängen der Radsportzeit vor rund 130 Jahren waren Bahnrennen nämlich so angesagt wie heute Fußballspiele: die Rennen waren Publikumsmagnete, es gab Bahnen in ganz Europa und den Rennen wohnten teilweise 20-30.000 ZuschauerInnen bei. Heute sind Velodroms vom Aussterben bedroht. 
Poschs Rettungsplan für das Dusikastadion ging auf: mehr und mehr Menschen kamen zu den Schnuppertrainings und lösten später eine (zum legalen Training notwendige) Bahnfahr-Lizenz. Rennen fanden statt, die bekanntesten sind die „Bahnoramas“ und der Grand Prix Vienna – das seit Jahren wichtigste und größte internationale Bahnevent in Österreich. 

posch-schnupperradeln_c_martin_granadia_2019_1.jpeg

Ein bisschen wie Fliegen

Martin Granadia, Betreiber von Österreichs bekanntesten Fahrrad-Blogs 169k, war bei fast allen dabei – meist als Fotograf, obwohl er selbst einige Jahre leidenschaftlicher Bahnradfahrer war. „Wer auf der Bahn fahren will, der muss Instinkte neu lernen“, erklärt er. Nachdenken dürfe man nicht, man müsse einfach fahren, eine 250 Meter lange Runde nach der anderen. Das sei dann ein bisschen wie Fliegen, schwärmt er. Die Luft im Stadion drehe sich, die Zentrifugalkraft treibe einen nach außen, man verliere „im positiven Sinn“ die Orientierung und könne richtig gut abschalten – vorausgesetzt, man ist schnell genug. Denn wer langsamer als 33 km/h fährt, bei dem greift das Rad nicht auf der Bahn, und er oder sie purzelt senkrecht nach unten. Im Regelfall wird hier aber sowieso ein weitaus höheres Tempo gefahren, die richtig guten preschen da ganz oben auf der Bahn mit 60-70 km/h dahin, in etwa 15 Sekunden ist man dann einmal rundherum. Der Weltrekord wird mit 9,347 Sekunden von François Pervis gehalten, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 77,030 km/h entspricht.

granadia4.jpeg

Die „Normalos“, so wie Redtenbacher, die dank Poschs Hartnäckigkeit ihre Liebe zur Bahn entdeckte, brauchen für eine Umrundung um die 25 Sekunden und fahren 40-50 km/h. „Die ersten male waren nicht so lustig, da wollte ich mir selbst was beweisen. Das ist ein komisches Angstgefühl, vor allem beim Gruppenfahren, weil man nicht bremsen kann, es aber so gewohnt ist“ erklärt sie. Bahnräder brauchen eine gewisse Eingewöhnungsphase, bei ihnen ist einiges speziell: Während für Straßenräder Steuerrohrwinkel zwischen 72 und 74 Grad angestrebt werden, weisen Bahnräder steilere Steuerrohre mit Winkeln auf, die teilweise deutlich über 74 Grad liegen. Dadurch wird das Rad wendiger, aber auch in seinem Geradeauslauf nervöser. Um bei der hohen Geschwindigkeit und den engen Verhältnissen auf der Bahn die Gefahr von Stürzen zu verringern, haben Bahnräder weder Freilauf noch Bremse, der sogenannte starre Gang ist vorgeschrieben, weshalb die Räder auch keine Schaltung besitzen. Der starre Gang bewirkt, dass beim Fahren permanent mitgetreten werden muss. Um nicht auf einen anderen Fahrer aufzufahren, weicht man aus – vor allem nach rechts, weil durch die Bahnüberhöhung dann sofort die Geschwindigkeit verringert wird.

granadia10.jpeg

Fitness-Studio für Radfahrende

Das ist erstmal ein mentales Umlernen, irgendwann macht es das Fahren dann aber leichter, meint Redtenbacher, die 2008 mit dem Rennradfahren begann, weil sie die Profis so ästhetisch fand, die beim Giro d´Italia  und der Tour de France auf den Pass radelten. Mittlerweile besitzt sie ein eigenes Bahnrad und trainiert in der Saison (September bis April) dreimal wöchentlich im Dusika Stadion, das sie, so wie Granadia, als „FitnessStudio für Radfahrende“ bezeichnet.

redtenbacher_granadia_crop.jpeg

Claudia Redtenbacher bei ihrer ersten Bahnradfahrt 2017

„Es ist praktisch, dein Rad steht dort und du kannst in der Wintersaison einfach nach der Arbeit hinfahren und im Warmen und Trockenen deine Runden drehen“. Was die BHS-Lehrerin besonders schätzt, ist die familiäre Atmosphäre, das Gemeinschafts-Gefühl und die Tatsache, dass sich Geschlechter-Rollen auf der Bahn im Gegensatz zu „draußen“ (- „da packen es die Männer nicht, wenn sie von einer Frau überholt werden“) komplett auflösen. Das soziale habe im Dusika einen großen Wert, sagt sie. Sie genieße es beispielsweise, den Leichtathleten beim Training zuzusehen und stets mit anderen Sportlern ins Plaudern zu kommen. 

granadia7.jpeg

Platzprobleme 

Andere sehen die Tatsache, dass so viele unterschiedliche SportlerInnen auf engem Raum miteinander auskommen müssen, kritisch: „Es ist ein irres Gewusel, alles ist zu eng und zu knapp. Man kommt sich zwangsläufig in die Quere, auch wenn man noch so rücksichtsvoll ist - da sind Konflikte vorprogrammiert“ übt Granadia Kritik. Lösungsansätze gibt es keine offiziellen. Die drei großen Player ÖRV (Österreichischer Radsport-Verband), WRV (Wiener Radsport-Verband) und WSB (Wiener Sportstätten Betriebsgesellschaft m.b.H.) schieben einander gegenseitig die Verantwortung und Zuständigkeiten zu. Vor Jahren gab es den Plan, das nach dem erfolgreichen österreichischen Radrennfahrer Franz, "Ferry“, Dusika benannte Stadion mitsamt seiner Holzbahn ersatzlos abzureißen, stattdessen wurde die Arena von 1997 bis 1999 generalsaniert. Als Konsequenz eines Berichtes über Dusikas NS-Vergangenheit wurde 2012 eine Umbenennung des Stadions geprüft, der Vorgang dann aber zu den Akten gelegt. 

granadia8.jpeg

Ungewissheit

Wie es mit Österreichs einziger Bahnrad-Sportanlage und zugleich einzigen Indoor-Leichtathletikanlage des Landes nun weiter geht, ist ungewiss. Aktuell ist das Stadion aufgrund des Maßnahmepakets der österreichischen Bundesregierung bis auf weiteres geschlossen, nur Spitzensportler dürfen trainieren, die sind nämlich von der Regelung ausgenommen, erklärt der ÖRV Sportdirektor Christoph Peprnicek. Dieses Privileg werde „in kleinem Ausmaß“ angenommen. Des längeren kursieren Gerüchte, nach denen das Stadion umgewidmet oder sogar abgerissen werden soll, um Platz für den geplanten Busbahnhof zu machen. Im Rathaus will man davon nichts wissen: Der Sprecher des Sportstadtrates weist vehement darauf hin, dass er dies nicht bestätigen könne. Generell könne er aber auch „nicht recht viel dazu sagen“, es liefen unterschiedliche Überlegungen, Konkretes gäbe es aber noch nicht. Im Oktober veröffentlichte die Stadt Wien den Sportstättenentwicklungsplan, der die Leitlinien für die Weiterentwicklung der Wiener Sportinfrastruktur vorgibt. Auf Basis dieses Konzepts werden in den kommenden Jahren rund 150 Millionen Euro für die Sanierung bestehender und die Errichtung neuer Sportanlagen aufgewendet. Man sei nun „bei mehreren Projekten auf Standortsuche“ und Pläne und Konzepte seien in Ausarbeitung.

granadia2.jpeg

Eine Institution 

Heruntergebrochen heißt das, dass das Dusika Stadion entweder da bleibt, wo es ist, oder eben nicht. Ersatzlos abgerissen werden kann es jedenfalls nicht. Dafür sorgt das Wiener Sportstättenschutzgesetz, nach dem Stadien oder andere Sportstätten ohne adäquaten Ersatz nicht geschleift werden dürfen.

Abgesehen von politischen Querelen, ist eines unumstritten: Wer sich fürs Radfahren interessiert, sollte sich das Treiben im Dusika Stadion zumindest einmal angeschaut haben. Es ist etwas Besonderes, das es nur in Wien gibt. 
Wer weiß, vielleicht entdecken Sie ja auch die Liebe für die Steilkurve – so wie Claudia Redtenbacher an jenem Samstag vor drei Jahren. 


Text & Recherche: INES INGERLE 
Fotos: MARTIN GRANADIA /www.169k.net

Stichworte: